Kardiovaskuläre Erkrankungen verursachen weltweit 17,9 Millionen Todesfälle jährlich. In Deutschland ist die koronare Herzkrankheit (KHK) die häufigste Todesursache und bleibt trotz rückläufiger Inzidenz und Mortalität seit den 1990er Jahren auf einem hohen Niveau. Die COVID-19-Pandemie wirkte sich auf die Gesundheitsversorgung aus, wobei die Zahl der Hospitalisierungen und Eingriffe aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu Gesundheitsdiensten und der Angst vor Ansteckung zurückging. Auch die ambulante Versorgung wurde eingeschränkt, was zukünftige KHK-Ereignisse begünstigen könnte. Allerdings fehlen in Deutschland bisher bevölkerungsbasierte Studien, die das Auftreten von KHK anhand umfassender ambulanter Daten langfristig beobachten. Insbesondere über den Einfluss der Pandemie auf die Inzidenz gibt es aktuell keinen eindeutigen Forschungsstand.
An diese Forschungslücke knüpft die Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Stefanie J. Klug, Ordinaria für Epidemiologie an. Die Studie ist Teil des DFG-geförderten Forschungsprojekts ChroVID, das der Lehrstuhl für Epidemiologie derzeit gemeinsam mit dem Fachgebiet für Gesundheitsökonomie von Prof. Dr. Leonie Sundmacher durchführt.
Das Forschungsteam um Dr. Gunther Schauberger, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. Klug, untersuchte in einer umfassenden Datenauswertung die Inzidenz koronarer Herzkrankheiten in der bayerischen Bevölkerung über einen Zeitraum von zehn Jahren sowie den potenziellen Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die Inzidenzrate. Die Ergebnisse der Studie wurden unter dem Titel “Impact of the COVID-19 pandemic on incidence of coronary heart disease in Bavaria, Germany: an analysis of health claims data“ im internationalen Fachjournal „Heart“ publiziert. Die Fachzeitschrift hat einen Impact-Faktor von 5,1.
Prof. Dr. Klug fasst zu haben: „Das übergeordnete Ziel der ChroVID-Studie ist es, zu untersuchen, wie sich die Gesundheitsversorgung chronisch kranker Patienten verändert und zudem den potentiellen Einfluss der Pandemie zu analysieren. Neben koronaren Herzkrankheiten betrachten wir in unserer ChroVID Studie auch andere chronische Krankheiten, beispielsweise Typ 2 Diabetes und verschiedene Krebsentitäten.“
Die vorliegende Datenauswertung basiert auf einer retrospektiven Analyse von Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) und untersucht epidemiologische sowie versorgungsbezogene Muster bei Patientinnen und Patienten mit neu diagnostizierten koronaren Erkrankungen in Bayern. Grundlage der Analyse sind anonymisierte Daten von etwa neun Millionen gesetzlich Versicherter ab einem Alter von 20 Jahren. Die Daten wurden für den Zeitraum von 2012 bis 021 nach Region, Geschlecht, Jahresquartal und Fünf-Jahres-Altersgruppen aggregiert. So konnten umfassende und detaillierte Analysen langfristiger Trends und Versorgungsmuster auf regionaler Ebene in Bayern dargestellt werden.
„Das Außergewöhnliche an unserer Forschung ist die Datengrundlage und dass wir die Entwicklung über zehn Jahre aufzeigen können. Besonders ist auch die hohe Repräsentativität – die Daten decken fast 85 Prozent der Bevölkerung in Bayern ab. Patientendaten der KVB sind eine sehr wertvolle Datenquelle“, hebt Dr. Schauberger die Bedeutung der Studie hervor.
Die Forschungsergebnisse zeigen einen Rückgang der Inzidenz vor der Pandemie, mit saisonalen Schwankungen, die im vierten Quartal höher waren. Während der Pandemie traten diese saisonalen Muster nicht auf und die Abnahme der KHK-Inzidenz war insgesamt geringer, besonders bei Frauen. Die Auswirkungen der Pandemie auf die Inzidenzraten waren entsprechend weniger deutlich als erwartet. Trotz anfänglicher Einschränkungen durch Lockdowns und geschlossene Praxen gab es keine statistisch signifikanten Veränderungen in der KHK-Inzidenz während der Pandemie. Die deutlichere Abschwächung des Rückgangs der KHK-Inzidenz bei Frauen könnte mit geschlechtsspezifischen Risikoprofilen zusammenhängen.
„Die Tendenz ist, dass die KHK-Inzidenz über die Jahre deutlich gesunken ist. Während der Pandemie war dieser Rückgang allerdings weniger deutlich“, fasst Dr. Schauberger die Ergebnisse zusammen und ordnet ein: „Die Studie bietet als bevölkerungsweite Analyse einen guten Einblick, wie sich die Krankheit entwickelt und wie das Gesundheitssystem belastet ist.“ Für die zukünftige Forschung regt er daher an: „Wir planen Prävalenz und Inzidenz zu vergleichen und außerdem die Inzidenzraten mit größerem Abstand zur Pandemie erneut zu analysieren.“
Die Ergebnisse unterstreichen die Wichtigkeit der fortlaufenden Überwachung und Prävention von KHK, insbesondere in Krisenzeiten wie einer Pandemie, um die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen sicherzustellen. Weitere Forschung ist notwendig, um die zugrunde liegenden Faktoren sowie die langfristigen Auswirkungen der Pandemie auf KHK besser zu verstehen und wirksame Strategien zur Prävention zu entwickeln.
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Kontakt:
Prof. Dr. Stefanie J. Klug, MPH
Ordinaria
Lehrstuhl für Epidemiologie
Georg-Brauchle-Ring 56
D-80992 München
Tel.: 089 289 24951
E-Mail: stefanie.klug(at)tum.de
Dr. Gunther Schauberger
Lehrstuhl für Epidemiologie
Georg-Brauchle-Ring 56
D-80992 München
Tel.: 089 289 24955
E-Mail: gunther.schauberger(at)tum.de
Text: Jasmin Schol
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