Die „Major Depression Disorder“ (MDD) ist eine klinisch diagnostizierbare und schwerwiegende psychische Erkrankung, die weltweit zu den häufigsten zählt und deren Prävalenz in den letzten 20 Jahren gestiegen ist. Obwohl es viele Behandlungsansätze wie Psychotherapie oder Medikamente gibt, ist deren Wirkung bei Erwachsenen gering. Selbst eine optimale Betreuung reduziert die Belastung durch MDD nur um etwa ein Drittel. Lediglich der kleinste Teil der Erkrankten erhält überhaupt eine adäquate Versorgung. Der Bedarf an effektiven Präventionsansätzen zur Vermeidung von MDD ist daher hoch.
Vor diesem Hintergrund wurde eine neue Studie unter der Leitung von Prof. Dr. David Daniel Ebert, Leiter der Professur für Psychology & Digital Mental Health Care, durchgeführt. Das Forschungsteam um die Jun.-Prof. Dr. Claudia Buntrock und Mathias Harrer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Psychology & Digital Mental Health, hat untersucht, wie wirksam psychologische Interventionen zur Prävention von MDD bei Erwachsenen mit subklinischen depressiven Symptomen sind. Die Ergebnisse der Studie wurden in „The Lancet Psychiatry“ unter dem Titel „Psychological interventions to prevent the onset of major depression in adults: a systematic review and individual participant data meta-analysis“ publiziert. Die Fachzeitschrift hat einen Impact-Faktor von 30,8.
Das primäre Forschungsziel war es, den Effekt von präventiven Interventionsmöglichkeiten für eine MDD zu quantifizieren und Moderatoren zu identifizieren. Laut Forschungsteam ginge es erstens darum, ultimativ den Nachweis zu erbringen, dass man Depression verhindern kann, wenn man rechtzeitig einschreitet. Zweitens habe man herausfinden wollen, wie man Interventionen personalisiert zuschneiden kann.
Prof. Dr. Ebert erläutert: „In der Regel werden Betroffene erst dann behandelt, wenn ihre Symptome die klinischen Kriterien für eine Depression erfüllen. Es gibt aber mittlerweile ein Umdenken. Wir haben die existierenden wissenschaftlichen Studien zum Thema untersucht, um herauszufinden, ob Hilfsangebote, die früher ansetzen, eine depressive Störung verhindern können.“
Mathias Harrer erklärt, was die Studie von vorheriger Forschung abhebt: „Es handelt sich um eine ‚Individual Participant Data‘-Metaanalyse (IPDMA). Das ist die größte Stärke der Studie: Wir haben zum ersten Mal Daten von 30 randomisierten kontrollierten Studien weltweit, die es zu dem Thema gibt, aus der Metapsy-Datenbank, einer Art lebender Datenbank, zusammengetragen. Das hat den Vorteil, dass wir nicht nur die bestmöglichen Schlüsse darüber ziehen können, wie effektiv bestimmte psychotherapeutische Verfahren sind, sondern auch, was bei wem besser oder schlechter wirkt.“
Die systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse von individuellen Teilnehmerdaten ist bei PROSPERO registriert (CRD42017058585) und fasste die Daten aus 30 randomisierten kontrollierten Studien mit 7.201 Teilnehmenden zusammen – hauptsächlich aus Ländern mit hohem Einkommen. Zwei unabhängige Forscher sichteten die Studien. Eingeschlossen wurden Erwachsene mit subklinischen depressiven Symptomen, aber ohne MDD zu Beginn.
Insgesamt zeigt die Analyse eine signifikante Reduzierung der Depression-Inzidenz um 42 % bis zu sechs Monaten, die bis zu zwölf Monaten auf 33 % zurückging. Diese Ergebnisse übertreffen frühere Metaanalysen, die nur eine Reduzierung von 19 % bzw. 22 % fanden. In den ersten zwölf Monaten führten psychologische Interventionen zu einer reduzierten Inzidenz von MDD, einer verringerten Schwere der depressiven Symptome und zuverlässiger Verbesserung sowie einer verringerten zuverlässigen Symptomverschlechterung.
„Das Kernergebnis ist: Wenn Personen mit depressiven Symptomen eine präventive Intervention frühzeitig erhalten, lässt sich ein präventiver Effekt für ein Jahr beobachten. Der Zeitraum darüber hinaus ist bislang weniger klar. Wir haben im Forschungskonsortium auch diskutiert, ob psychologische Interventionen wie eine Impfung fungieren könnten, die regelmäßig aufgefrischt werden müssen. Außerdem legen die Ergebnisse nahe, dass Präventionsmaßnahmen flächendeckend für unterschiedliche Personengruppen wirken und nicht nur für eine spezifische Subgruppe geeignet sind“, ordnet Jun.-Prof. Dr. Claudia Buntrock die Befunde ein.
Aus der Studie ergeben sich laut Harrer folgende Implikationen: „Für das Gesundheitswesen lautet unsere Botschaft, dass wir auch im Bereich der psychischen Gesundheit weg von rein kurativen und mehr hin zu präventiven Ansätzen kommen müssen. Zunächst muss das Wissen verbreitet werden, dass Prävention wirkt. Gleichzeitig gilt es zu erforschen, wie Interventionen breiter zugänglich und langfristig wirksam gestaltet werden können – Stichwort Auffrischung. Und man muss aufpassen, dass man vorübergehende depressive Symptome nicht überpathologisiert. Es bedarf weiterer Untersuchung, ab wann subklinische Symptome die Interventionen rechtfertigen und wann man anfängt, Betroffenen fälschlicherweise Sorgen zu bereiten.“
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Kontakt:
Prof. Dr. David Daniel Ebert
Professur für Psychology & Digital Mental Health Care
Georg-Brauchle-Ring 60/62
D-8992 München
E-Mail: david.daniel.ebert(at)tum.de
Mathias Harrer
Professur für Psychology & Digital Mental Health Care
Georg-Brauchle-Ring 60/62
D-80992 München
E-Mail: mathias.harrer(at)tum.de
Text: Jasmin Schol
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