Die Koronare Herzkrankheit (KHK) zählt weltweit zu den häufigsten Todesursachen. Sie entsteht durch eine fortschreitende Verengung oder den vollständigen Verschluss der Herzkranzgefäße, wodurch das Risiko für Herzinfarkte deutlich steigt. Besonders gefährdet sind Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes (T2DM): Erhöhte Blutzuckerwerte schädigen die Gefäße und verstärken in Kombination mit einem hohen Cholesterinspiegel Prozesse, die das Herz-Kreislauf-System zunehmend belasten. Zudem erfordert ihre medizinische Versorgung oft ein komplexes Management. Ein Mangel an körperlicher Aktivität sowie Adipositas gehören zu den wichtigsten beeinflussbaren Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen, insbesondere bei der älteren Generation. Daher empfehlen medizinische Leitlinien für Betroffene mit KHK und T2DM regelmäßiges körperliches Training.
Die klinische Studie „Lifestyle intervention in chronic ischemic heart disease and diabetes (LeIKD)“ unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Halle, Ordinarius für Präventive Sportmedizin und Sportkardiologie, untersuchte die Wirksamkeit einer telemedizinisch-unterstützten Lebensstilintervention bei älteren Patientinnen und Patienten mit KHK und T2DM. Um die Versorgung dieser Hochrisikogruppe zu verbessern, wurde im Rahmen der Studie eruiert, ob eine telemedizinisch-unterstützte heimbasierte Lebensstil-Intervention über eine Sport-App sowie individuelle schriftliche Ernährungsempfehlungen und Informationen zur Steigerung der Gesundheitskompetenz die Blutzuckerwerte und das allgemeine Wohlbefinden der insgesamt 502 Patientinnen und Patienten verbessern kann. Die Studie wurde an elf nationalen Zentren durchgeführt, mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse (TK). Publiziert wurde diese nun in der internationalen Fachzeitschrift „Nature Medicine“. Das Journal hat einen Impact-Faktor von 58,7.
Prof. Halle fasst den Stellenwert der Studie so zusammen: „Diabetes ist mit einem erhöhten Zuckerwert im Blut verbunden, und Zucker ist extrem aggressiv – er greift die Gefäße im Körper an, ähnlich wie er Himbeeren im Müsli zersetzt. Das führt zu Veränderungen in den Arterien, Ablagerungen von Cholesterin und letztlich zu einer fortschreitenden Gefäßschädigung. Besonders bei Patienten mit Diabetes als auch koronarer Herzerkrankung ist das eine tickende Zeitbombe – das Risiko für Herzinfarkte, Herzinsuffizienz und andere Komplikationen steigt erheblich, weshalb eine enge medizinische Kontrolle und eine Anpassung des Lebensstils essenziell sind.“
Ziel der Studie war es, durch ein sechsmonatiges, individualisiertes Heimtraining mit Ernährungsempfehlungen, regelmäßigem Feedback und Verbesserung der Gesundheitskompetenz den erhöhten Blutzuckerwert im Vergleich zur üblichen Versorgung signifikant zu senken – und diese Effekte auch nach Beendigung der intensiven Betreuung über weitere sechs Monate aufrechtzuerhalten.
Die Teilnehmenden wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Die Standardgruppe erhielt keine aktive Intervention, sondern eine einmalige schriftliche Standardempfehlung zu Ernährung und körperlicher Aktivität gemäß aktueller Leitlinien. Die Interventionsgruppe erhielt Zugang zu der Sport-App mit individualisierten Ausdauer- und Krafttrainingseinheiten und wurde zudem während der sechsmonatigen intensiven Phase regelmäßig telefonisch betreut. Die schriftlichen Ernährungsempfehlungen basierten auf den Ernährungsprotokollen der Teilnehmenden. In der darauffolgenden sechsmonatigen Beobachtungsphase sollten die Patientinnen und Patienten die Interventionen mit Hilfe der App eigenverantwortlich weiterführen, ohne ergänzende Anrufe oder externe Motivation.
Die Ergebnisse zeigten, dass während der intensiven Phase der Langzeitblutzucker signifikant verbessert werden konnte. Doch nach Ende der intensiven Phase und dem Wegfall der persönlichen Betreuung verschlechterten sich die Werte wieder. Dies legt nahe, dass allein die App-Nutzung nicht ausreicht, um langfristige Veränderungen herbeizuführen. „Unsere Studie zeigt, dass ein Lebensstilprogramm bei Patientinnen und Patienten mit KHK und Diabetes nur dann wirksam zu sein scheint, wenn es mit persönlichen Interaktionen kombiniert wird“, erklärt Prof. Halle. „Ein rein app-basiertes Vorgehen ohne menschliche Begleitung führt hingegen unter Umständen nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung des Gesundheitszustands.“
Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Adhärenz der Patientinnen und Patienten zur App-Nutzung. Obwohl viele bereit waren, digitale Angebote zu nutzen, zeigte sich bei den überwiegend älteren Teilnehmenden (das mittlere Alter lag zu Studienbeginn bei 68 Jahren) eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit der Technologie. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass die positiven Effekte nicht dauerhaft anhielten bzw. auch in den ersten sechs Monaten geringer ausfielen als erwartet. Die Optimierung von Lebensstil-Interventionsprogramme bleibt weiterhin eine große Herausforderung. Besonders anspruchsvoll war zudem die Durchführung der Studie während der COVID-19-Pandemie. Ursprünglich war geplant, 1.500 Patientinnen und Patienten zu rekrutieren, letztlich konnten immerhin 502 Teilnehmende eingeschlossen werden. Es handelt sich also um die bislang größte Studie dieser Art zu dieser Thematik.
Prof. Halle betont abschließend: „Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass eine ganzheitliche Herangehensweise notwendig ist. Der aktuelle App-Hype muss relativiert werden, denn allein durch die digitale Bereitstellung eines Trainingsplans lassen sich unter Umständen keine nachhaltigen Therapieerfolge erzielen. Persönliche Betreuung bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil der Patientenversorgung.“
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Zur Studie: „Lifestyle intervention in chronic ischemic heart disease and diabetes (LeIKD)“
Kontakt:
Prof. Dr. Martin Halle
Lehrstuhl für Präventive Sportmedizin und Sportkardiologie
Georg-Brauchle-Ring 56
80992 München
Tel.: 089 4140 6774 (Klinikum rechts der Isar)
Tel.: 089 289 24441 (Uptown Campus)
E-Mail: Martin.Halle(at)mri.tum.de
Text: Bastian Daneyko
Fotos: Pixabay/Privat