7:1. Das Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 zwischen Deutschland und Brasilien ging in die Geschichte ein. Zwischen der 23. und der 29. Spielminute erzielte das deutsche Team vier Treffer, während die brasilianische Mannschaft komplett einbrach. "Team Collapse" - mit diesem Begriff bezeichnet die Sportpsychologie dieses Phänomen. Doch: Was sind Voraussetzungen für einen solchen "Team-Collapse"? Und welche Interventionsmöglichkeiten bestehen?
Das untersuchte Vanessa Wergin. Die Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Lehrstuhls für Sportpsychologie von Ordinarius Prof. Dr. Jürgen Beckmann hat hierzu nun einen Aufsatz in der Zeitschrift "Frontiers in Psychology" veröffentlicht. Frontiers in Psychology ist die am häufigsten zitierte Fachzeitschrift, die Artikel aus sämtlichen Fächern der Psychologie publiziert.
"Das Journal genießt in der Psychologie ein sehr hohes Ansehen. Die veröffentlichten Beiträge stammen aus sämtlichen Teildisziplinen unseres Faches und werden sowohl von Wissenschaftlern als auch von Praktikern gelesen, sodass die Artikel eine große Breitenwirkung entfalten können", erklärt Prof. Beckmann.
Für ihre Studie führte Wergin zehn Leitfadengespräche mit Fußball-, Basketball-, Volleyball- und Feldhockey-Spieler_innen. Sämtliche der Befragten üben ihren Sport in einer der vier höchstklassigen Ligen aus. "Wir haben mit den Sportlern in den Gesprächen über ihre Erfahrungen mit Team-Einbrüchen in den vergangenen zwölf Monaten gesprochen. Die Athleten sollten diese Situationen beschreiben. Anschließend haben wir mit ihnen herausgearbeitet, welche Ursachen aus ihrer Sicht für den Einbruch bestanden", erläutert Wergin.
Auf der Basis der Gespräche konzipierte die Doktorandin des Lehrstuhls für Sportpsychologie das "Process Model of Collective Sport Team Collapse". "Wir konnten zeigen, dass die Einbrüche einer Mannschaft nicht nur an einem singulären Faktor liegen, sondern verschiedene Mechanismen beteiligt sind", erklärt Wergin.
Demnach bestehen zunächst verschiedene Risikofaktoren, die den Team Collapse wahrscheinlicher machen. Dazu zählen hoher Druck, eine junge Mannschaft mit wenig Erfahrung, eine schlechte Vorbereitung oder auch eine Art Vermessenheit der Mannschaft dahingehend, dass sie glaubt das Spiel problemlos gewinnen zu können oder bereits gewonnen zu haben. Der Einbruch wird dann durch einen sogenannten "Triggermoment" ausgelöst. "Diese Momente können sehr unterschiedlich sein, zum Beispiel ein Leistungsabfall eines Schlüsselspielers, eine falsche Schiedsrichterentscheidung oder sogar schon ein verlorener Zweikampf. Entscheidend ist, dass der Triggermoment zu einer Veränderung von Kognition und Emotion führt", sagt Wergin.
In der Folge entsteht in einer Mannschaft eine Angstatmosphäre. Negative Emotionen überwiegen, Spieler_innen wollen keine Verantwortung mehr übernehmen, gegenseitige Schuldzuweisungen können auftreten. Die Leistung der Mannschaft bricht ein.
Die Lösung? "Pauschale Regeln bestehen nicht. Aber wir können auf der Basis des Mechanismus zielführende Interventionen entwickeln", bilanziert Wergin. Besondere Bedeutung kommt Schlüsselspielern zu. "Wenn die Schlüsselspieler stabil bleiben, dann kollabiert eine Mannschaft in der Regel nicht", erklärt Beckmann. Wergin empfiehlt daher, Schlüsselspieler_innen bereits im Training entsprechend zu coachen und mit ihnen sowie auch mit anderen Spielern Emotionsregulationsstrategien einzuüben - etwa den Umgang mit Rückschlägen oder kleineren Misserfolgen. Zielführend hierbei sind beispielsweise Achtsamkeitsübungen. Gleichzeitig müssen die Schlüsselspieler_innen in Einbruch-Situationen darauf achten, die gemeinsame Kommunikation in der Mannschaft auf dem Feld aufrechtzuerhalten.
Trainer_innen können auf zwei Möglichkeiten einwirken: Falls dies erlaubt ist, hilft eine Timeout, um die Mannschaft zu stabilisieren und zu fokussieren. Falls nicht, können Wechsel vorgenommen werden. "Trainer können zum Beispiel einen Spieler einwechseln, der von seiner Persönlichkeit her besonders geeignet ist, Verantwortung zu übernehmen und Ruhe auszustrahlen. Wichtig ist, dass die Trainer sich im Vorfeld mit dem Szenario auseinandersetzen und Lösungsansätze bereithalten und die Schlüsselspieler entsprechend vorbereitet sind", erklärt Beckmann.
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Der Artikel in der Zeitschrift Frontiers in Psychology
Kontakt
Vanessa Wergin
Lehrstuhl für Sportpsychologie
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Telefon: 089 289 24547
E-Mail: Vanessa.Wergin(at)tum.de
Text: Dr. Fabian Kautz
Fotos: Pexels; TUM; Vanessa Wergin