Seit Jahren ist die unzureichende körperliche Aktivität und erhöhter Stress von Kindern und Jugendlichen ein großes gesellschaftliches Thema. Schulen verstärken diese Komplexitäten aufgrund starrer Strukturen und infrastruktureller Defizite. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, hat sich international das Konzept des „Education outside the classroom (EotC)“ etabliert, das einen lehrplankonformen Unterricht beschreibt, der regelmäßig außerhalb des Klassenzimmers stattfindet.
Prof. Dr. Filip Mess, Leiter der Professur für Sport- und Gesundheitsdidaktik, und Dr. Jan Ellinger, wollen als Nachfolgevorhaben zum Projekt „Draußenunterricht (DU)“ das Unterrichtsmodell in Deutschland mithilfe der Entwicklung eines Rahmenunterrichtskonzepts weiter vorantreiben und wissenschaftlich begleiten. Dieses Konzept soll Lehrplankonformität mit klimarelevantem Wissen für Schülerinnen, Schülern sowie Lehrkräften verbinden. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft mit einer Summe von 1,1 Millionen Euro gefördert, wobei rund 440.000 Euro auf das Department Health and Sport Sciences entfallen.
Das Verbundprojekt setzt sich aus vier Teilvorhaben zusammen, bei denen die Professur für Sport- und Gesundheitsdidaktik die Projektleitung übernimmt und vorrangig im gesundheitswissenschaftlichen Bereich aktiv sein wird. Prof. Mess stellt die Besonderheiten des Projekts heraus: „Die Herausforderung und gleichzeitig aber auch eine tolle Chance liegt insbesondere darin, dass wir dieses interdisziplinäre Projekt gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen aus uns zum Teil noch „fremden“ Wissenschaften umsetzen dürfen. Hierbei wird es uns viel Freude machen, die unterschiedlichen Ansätze, Methoden und Sichtweisen zusammenzubringen.“
In das Projekt werden pädagogische als auch forstwissenschaftliche Untersuchungen einbezogen, um das Konzept ganzheitlich weiterzuentwickeln. Zudem werden die Effekte von DU-Maßnahmen auf biologische Vielfalt, Nachhaltigkeit und Bioökonomie sowie das Umweltbewusstsein durch das Lernen in städtischen und ländlichen Naturräumen untersucht. Angestrebt wird eine gleichmäßige Verteilung von zehn bis 15 schulischen Kooperationspartnern verschiedener Schulformen: „Das Konzept gibt es in skandinavischen Ländern schon lange und ist dort viel weiter verbreitet als in Deutschland. In Dänemark gibt es bereits wissenschaftliche Grundlagen, die hierzulande in der Form noch nicht existieren. Diesen Bedarf wollen wir nun decken“, so Dr. Jan Ellinger.
Dazu begleitet das Projekt über ein Schuljahr und länger hinweg Klassen, die zum ersten Mal an einem Draußenunterricht teilnehmen und erhebt dabei verschiedene Daten. Neben Fragebögen sollen innovative Methoden wie Bewegungssensoren, Cortisolmessungen durch Speichelproben und mobile EEG-Messungen eingesetzt werden. „Die Hypothese ist, dass sich durch den größeren Bewegungsraum im Freien nicht nur die körperliche Aktivität steigert, sondern auch Stress, Aufmerksamkeit und Entspannung positiv beeinflusst werden“, so Ellinger. Ein Schwerpunkt liege dabei auf dem Vergleich der Effekte zwischen dem Draußen- und dem traditionellen Klassenzimmer-Setting. So solle herausgestellt werden, ob und wie sich kognitive und emotionale Aspekte im unterschiedlichen Lernumfeld verändern.
Die Daten der gesundheitswissenschaftlichen Studien sollen Erkenntnisse zu den Auswirkungen auf Stress und die Gesundheitsförderung der Schülerinnen und Schülern liefern. „In Deutschland erproben seit einigen Jahren zunehmend mehr Schulen diese alternativen Ansätze, da spürbar wird, dass es allen Beteiligten zugutekommt. Die Schülerinnen und Schüler können sich mehr bewegen und zeigen verbesserte Lernmotivation, während auch die Lehrkräfte von den Veränderungen profitieren“, erläutert der wissenschaftliche Mitarbeiter.
Diese Ansätze fördern zudem eine stärkere fächerübergreifende Vernetzung, da der Fokus vor allem auf praxisorientiertem Lernen liegt, anstatt auf starren, fachspezifischen Denkweisen. „Die offensichtlichste Veränderung, die erzielt werden soll, ist die erhöhte körperliche Aktivität. In Pilotstudien zeigte sich, dass nur die Kinder, die am Draußenunterricht teilnahmen, die WHO-Empfehlungen für körperliche Bewegung erfüllten – ohne, dass Bewegung explizit gefordert wurde. Allein das veränderte Setting, in dem Lernen mit Bewegung statt Sitzen verbunden ist, führte zu diesem Effekt“, erklärt Jan Ellinger.
Außerdem will das Projekt die interdisziplinäre Zusammenarbeit der unterschiedlichen Experten fördern, um gemeinsam praxisnahe Unterrichtskonzepte zu entwickeln. „Neben der gesundheitswissenschaftlichen Perspektive fließen sonderpädagogische, pädagogische und naturbezogene Ansätze mit ein, wodurch ein ganzheitliches Konzept entsteht und die praktische Umsetzbarkeit der Unterrichtsentwürfe, Methoden und Materialien gewährleistet ist“, beschreibt Jan Ellinger abschließend.
Weitere Projektpartner: Technische Universität München, Professur für Urbane Produktive Ökosysteme; Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Lehrstuhl für Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen; Schutzgemeinschaft Deutscher Wald - Landesverband Bayern e.V.; Schulische Kooperationspartner
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Kontakt:
Prof. Dr. Filip Mess
Professur für Sport- und Gesundheitsdidaktik
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Tel.: 089 289 24520
E-Mail: filip.mess(at)tum.de
Dr. Jan Ellinger
Professur für Sport- und Gesundheitsdidaktik
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Tel.: 089 289 24794
E-Mail: jan.ellinger(at)tum.de
Text: Bastian Daneyko
Fotos: Alexander Kaya/Privat