Diabetes mellitus und insbesondere die „Typ 2-Diabetes“ spielt im Leben vieler Menschen eine große Rolle. Etwa 537 Millionen Menschen – das sind elf Prozent der Weltbevölkerung – leben mit dieser chronischen Krankheit. In Deutschland sind rund sieben Millionen Menschen betroffen. Die Lebensqualität und -erwartung sind stark eingeschränkt, zudem stellen die Kosten aufgrund einer Vielzahl von Auswirkungen der Krankheit, wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Nierenschäden, eine große Belastung für das deutsche Gesundheitssystem dar.
Carolin Lehner und Dr. Gunther Schauberger, wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Epidemiologie von Frau Prof. Dr. Stefanie Klug, untersuchten mittels Datenanalyse die Inzidenz von Diabetes mellitus Typ 2 in Bayern über eine Zeitspanne von 2012 bis 2021 und welche Auswirkungen die Covid-19-Pandemie auf Neudiagnosen hatte. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) stellte die nötigen Gesundheitsdaten zur Verfügung. Die Studie wurde unter dem Titel „Incidence trend of type 2 diabetes from 2012 to 2021 in Germany: an analysis of health claims data of 11 million statutorily insured people” im Journal „Diabetologia” veröffentlicht. Das Fachjournal hat einen Impact Factor von 8,4.
Die Studie entstammt einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsprojekt, das gemeinsam mit dem Fachgebiet für Gesundheitsökonomie durchgeführt wird. Es handelt sich um eine Sekundäranalyse auf Basis der Krankenversicherungsdaten der KVB mit rund elf Millionen Versicherten, was etwa 85 Prozent der Gesamtpopulation Bayerns entspricht, beginnend mit Neudiagnosen ab einem Alter von 20 Jahren. „Unser Hauptziel war es, den Inzidenzverlauf von Typ Diabetes über einen langen Zeitraum zu betrachten, da über die Inzidenz, im Gegensatz zur Prävalenz, wenig bekannt ist“, so Gunther Schauberger.
Die anonymisierten Daten enthalten für jedes Quartal im festgelegten Zeitraum Informationen hinsichtlich des Geschlechts, Alters, Diagnosejahres, Diagnosequartals, Landkreises, Anzahl an Inzidenzfällen, Risikopopulation und Rohinzidenzrate. Mit Hilfe dieser Daten wurden altersstandardisierte Inzidenzraten (ASIR) sowie Inzidenzraten innerhalb der Altersgruppen in 10-Jahresabschnitten berechnet. Um den möglichen Effekt der Corona-Pandemie überprüfen zu können, wurde eine Regressionsanalyse durchgeführt.
Insgesamt wurden 745.861 neue Fälle von Typ-2-Diabetes diagnostiziert. Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen war dabei in etwa ausgeglichen. Im Untersuchungszeitraum sank der Median des Alters bei der Diagnose sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen. Während des Studienzeitraums wurde ein allgemeiner Abwärtstrend bei der ASIR beobachtet, der bei beiden Geschlechtern bei rund 4,7 Prozent lag. „Der deutliche Rückgang der Inzidenz war in der Form nicht unbedingt zu erwarten, insbesondere mit Blick auf die Inzidenz der höheren Altersgruppen“, erklärt Lehner den wichtigsten Befund der Studie. „Allerdings fehlten bis dato auch schlichtweg die Daten für eine solch umfassende Analyse auf Grundlage eines langen Zeitraumes.“
Erstmalig wurde mit der Studie ein Zehn-Jahres-Trend in Deutschland für die Inzidenz von Typ-2-Diabetes veröffentlicht, der einen starken Rückgang in den Jahren 2012 bis 2017 und einen gemäßigten Rückgang in den Jahren 2018 bis 2021 aufzeigt. Trotz steigender Prävalenz war die Inzidenz rückläufig. Eine mögliche Erklärung könnten veränderte Lifestyle-Faktoren sowie eine gründliche Vorsorgeuntersuchung der Hausärztinnen und Hausärzte sein.
Die Covid-19-Pandemie hatte dabei keinen signifikanten Einfluss auf die Ergebnisse. „Es ist das erste Mal, dass robuste longitudinale Daten zur Typ-2-Diabetes Inzidenz in Bayern vorliegen. Es ist sehr wichtig hier die Verläufe abzubilden, da es kein flächendeckendes Diabetes-Register gibt. Insgesamt scheint während der Covid-19 Pandemie kein anhaltender Versorgungsstau bezüglich der Diagnose von Diabetes in den Praxen entstanden zu sein“, erläutert Frau Prof. Dr. Klug.
„Für zukünftige Forschungen ist es natürlich interessant zu sehen, wie sich die Situation in beispielsweise vier Jahren darstellt. Bewahrheiten sich unsere Ergebnisse oder hatte man nur eine aktuelle, niedrigere Phase und die Inzidenz steigt dann wieder?“, blickt Lehner bereits voraus. Diese Fragen seien Grundlage für zukünftige Forschungen und Anlass, dass die Datenentwicklungen noch weiter untersucht werden müssen. „Aber allein, die Möglichkeit zu haben, für eine so große Bevölkerungsanzahl verlässliche Inzidenzen über einen längeren Zeitraum darstellen zu können, ist viel wert“, erläutert die wissenschaftliche Mitarbeiterin abschließend.
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Text: Bastian Daneyko
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