Sensomotorische Kontrolle und motorisches Lernen
Analysen der sensomotorischen Kontrolle in den Bereichen Objektmanipulation, Zielmotorik, posturale Kontrolle, Navigation, motorisches Lernen und Alltagsaktivitäten mit Hilfe kinematischer (Motion Capture, Inertialsensorik etc.) und dynamischer Messverfahren (Hand- und Fingerkräfte, Kraftmessplatten). Analysen neuronaler Korrelate mit Hilfe von funktionaler Magnetresonanztomographie (fMRT), transkranieller Magnetstimulation (TMS) und Läsionsstudien.
Akute Effekte von körperlicher Bewegung auf die motorische Gedächtnisbildung
Veit Kraft
Jeder von uns lernt neuen motorische Fertigkeiten von klein auf bis ins hohe Alter. Dabei kann es sich um die ersten Schritte handelt, das Spielen eines Instrumentes oder eine sportliche Bewegung. Diverse Faktoren können dabei beeinflussen, wie schnell wir etwas lernen und wie gut unser Hirn solche motorischen Erinnerungen verfestigt. So ändert sich zum Beispiel je nach Bewusstheit die Art und Weise, wie diese motorischen Sequenzen konsolidiert werden. Aber es gibt auch andere Faktoren, die beeinflussen, wie und wie gut wir motorische Erinnerungen lernen und konsolidieren. Wie zum Beispiel eine akute Herz-Kreislauf-Belastung, welche wohl besonders dann positive Effekte haben kann, wenn sie kurz nach dem motorischen Lernen stattfindet und von hoher Intensität ist. Deshalb messen wir motorisches Lernen und den Einfluss einer akuten Herz-Kreislauf-Belastung auf die Konsolidierung erlernter Gedächtnisinhalte. In einem ersten Schritt geschieht dies mit jungen und gesunden ProbandInnen, in weiteren Verlauf, zielen wir darauf ab zu erforschen wie sich eine solche Belastung bei Personen fortgeschrittenen Alters auswirkt. Zusätzlich sind wir an möglichen Mechanismen interessiert, welche eine potentielle Verbesserung der motorischen Leistung auf neuronalem Level bedingen und nutzen dafür die Transkranielle Magnetstimulation um mittels der kortikospinalen Erregbarkeit Rückschlüsse auf die Plastizität des Hirns zu schließen.
Literatur:
Cristini, J., Kraft, V. S., Heras, B. De, Rodrigues, L., & Parwanta, Z., Hermsdörfer, J., Steib, S. & Roig, M. (2023). Differential effects of acute cardiovascular exercise on explicit and implicit motor memory : The moderating effects of fitness level. Neurobiology of Learning and Memory, 205. https://doi.org/10.1016/j.nlm.2023.107846
Gehirn und Muskel Netzwerke der Griffkraftkontrolle
Luisa Roeder
Wir greifen und benutzen zahlreiche Gegenstände und Werkzeuge im täglichen Leben sehr geschickt. Z.B. können wir ein Glas Wasser greifen und heben, ohne dass das Glas abrutscht, umkippt, verschüttet oder zerquetscht wird. Erstaunlicherweise ist unser Nervensystem dazu in der Lage, die Greifkraft, die zum Heben eines Objekts benötigt wird, äußerst präzise zu skalieren. Generell skalieren wir unsere Griffkraft so, dass sie nur wenig höher als nötig ist, um ein Objekt ohne Abrutschen zu heben, aber nicht zu hoch, was zu Ermüdung und potentieller Beschädigung zerbrechlicher Gegenstände führen würde. Normalerweise beziehen wir Eigenschaften von Objekten mit in unsere Greifplanung ein (z.B. Gewicht, Form und Oberfläche), wofür wir vor allem visuelle Information nutzen (z. B. Größe), sofern diese verfügbar ist.
Verschiedene Hirnareale, die an der Skalierung der Greifkraft beteiligt sind, wurden bereits in Studien der letzten Jahrzehnte identifiziert. Jedoch sind die reziproken Verbindungen und Kommunikationswege zwischen Hirnarealen und zwischen Gehirn und Muskeln bislang unklar.
Deshalb erfassen wir in einer Studie elektrische Gehirn- und Muskelaktivität beim Greifen und Heben von Objekten (mittels Elektroenzephalographie, EEG, und Elektromyographie, EMG). Wir testen verschiedene Bedingungen, unter denen Objekteigenschaften entweder anhand von visueller Information abgeschätzt werden können oder nicht. Unser Ziel ist es, dynamische Gehirn- und Muskelnetzwerke während des Greifens und des Skalierens der Griffkraft zu identifizieren.
Publications:
Schneider & Hermsdörfer (2016) https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-319-47313-0_10
Roeder et al. (2018) https://journals.physiology.org/doi/full/10.1152/jn.00613.2017
Roeder et al. (2020) https://www.nature.com/articles/s41598-020-59810-w?proof=t
Kinematische Analysen von Alltagsaktivitäten
Stephanie Schmidle, Philipp Gulde, Joachim Hermsdörfer
Motorische Einschränkungen, oder der Verlust von Gedächtnis, Orientierung und kognitiver Leistungsfähigkeit durch neurologische Erkrankung können die Alltagsfähigkeit Betroffener maßgeblich einschränken und zur Abhängigkeit von Fremdenhilfe führen. Zur umfassenden Diagnostik komplexer Alltagshandlungen (z.B. Dokumente abheften, Tee kochen) bei Personen mit motorischen und kognitiven Einschränkungen, z.B. bei Apraxie-und Aktionsdesorganisationssyndrom nach Schlaganfall oder Demenz, kombinieren wir klinisch etablierte Verfahren (Fragebögen), qualitative (Verhaltensbeobachtung) und quantitative Methoden (Eye-Tracking zur Erfassung von Blickverhalten, Motion-Tracking zur kinematischen Quantifizierung von Verhalten). Die Forschungsaktivitäten mit gesunden Kontrollpersonen und Patienten liefern wertvolle Basisdaten zur Klassifikation individueller Bewegungsverhalten und –strategien, Prädiktion klinischer Outcomes und Entwicklung von Assistenzsystemen (siehe auch Mixed-Reality). Langfristig soll dies zur verbesserten Lebensqualität durch erhöhte Unabhängigkeit Betroffener, sowie zur Entlastung pflegender Angehöriger und des Gesundheitssystems beitragen.
Literatur: Gulde et al., Exp Brain Res (in press), Gulde et al., Frontiers in Neurol (2018), Gulde & Hermsdörfer, Frontiers in Neurol (2018), Gulde & Hermsdörfer, Exp Brain Res (2017), Gulde et al., Frontiers in Hum Neurosci (2017), Bienkiewicz et al., Brain and Behavior (2015), Gulde et al., Eng Solutions in Neurorehabil Biosys & Biorob (2014)
Assessment von Störungen der Feinmotorik
Joachim Hermsdörfer, Kathrin Allgöwer
Geschickte Feinmotorik ist die Voraussetzung für unzählige Fertigkeiten in unserem Alltag oder im Beruf. Störungen können ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben gefährden. Häufige Ursache von feinmotorischen Störungen sind neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, infantile Zerebralparese, Parkinson’sche Erkrankung und Multiple Sklerose oder auch fokale Dystonien, wie z.B. Schreibkrampf. Ziel unserer Studien ist es, Aspekte und Faktoren zu bestimmen, welche Feinmotorikstörungen charakterisieren. Dazu haben wir auf der Basis technologischer Entwicklungen und unserer Erfahrung aus klinischen Studien eine Testbatterie entwickelt. Zentrale Komponente der Batterie ist ein instrumentiertes Manipulandum (GF-Box), welches Fingerkräfte und Objektbewegungen registriert. Hiermit werden sowohl funktionale wie elementare Aspekte von Objektmanipulation analysiert. Hinzu kommen klinische Tests, wie zum Beispiel der sensorischen Wahrnehmung. Mit Hilfe der Testbatterie konnten wir die drei Faktoren „feinmotorische Kraftskalierung“, „Koordination“ und „Schnelligkeit“ identifizieren. Bei Schlaganfall lassen sich damit 69% der Leistung in einem komplexen Funktionstest statistisch erklärt. Ziel laufender und zukünftiger Studien ist die Untersuchung weiterer Gruppen, wie ältere Personen, Personen mit besonderer Expertise oder mit neurologischen Erkrankungen.
Förderung: Bayerische Forschungsstiftung (abgelaufen)
Literatur: Allgöwer, K., Fürholzer, W., & Hermsdörfer, J. (2018), Allgöwer, K., & Hermsdörfer, J. (2017), Allgöwer, K., Kern, C., & Hermsdörfer, J. (2017)
https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/detail/article/34176/
Antizipatorische Planung bei Objektmanipulation
Thomas Schneider & Joachim Hermsdörfer
Um Objekte im Alltag geschickt zu benutzen, müssen wir ihre Eigenschaften vorrausschauend in unsere motorische Greifplanung einbeziehen. Neben einer dem Gewicht und den Oberflächen-eigenschaften angepassten Kraftausübung, ist es essenziell, dass wir ein Kippen des Objektes vermeiden. Hierfür müssen bereits beim Abheben die, z.B. bei Anheben einer Tasse Kaffee, anfallenden Drehmomente vorausschauend ausgeglichen werden, um diesen nicht zu verschütten. Mit einem alltagsnahen Greif-Objekt, dessen Massenverteilung sichtbar und unsichtbar verändert werden kann, untersuchen wir wie gesunde, junge- und ältere Probanden, sowie Patienten nach einem Schlaganfall ihre Fingerpositionierung und ihre Kraftausübung planen, um kompensatorische Drehmomente auszuüben. Hierbei evaluieren wir den Einfluss vorheriger Manipulationen und geometrischer Hinweise auf den Handlungserfolg. Zudem überprüfen wir, wie Teilnehmer ihre Fingerpositionierung bei verschiedenen Oberflächen optimieren und ob die Fähigkeiten im Alter abnehmen. Darüber hinaus zeigen wir, wie unsere motorische Planung die Wahrnehmung von manipulierten Objekten beeinflusst.
Literatur: Schneider, T. & Hermsdörfer, J. (2016), Schneider, T., Buckingham, G. & Hermsdörfer, J. (2019)
Bewegungsunterstützung durch sanfte Berührung eines Robotersystems
David Kaulmann
Dieses Forschungsprojekt beabsichtigt es, dass Verständnis für zwischenmenschliche Interaktionen während einer Gleichgewichtsunterstützung durch sanfte Berührung zu verbessern. Diese treffen beispielsweise bei Interaktionen zwischen Therapeuten und Patienten mit Gleichgewichtsstörung auf. Die technische Intention ist es diese Prinzipien der zwischenmenschlichen Koordination in eine Mensch-Roboter Situation zu überführen. Das Projekt untersucht Faktoren der zwischenmenschlichen Koordination und die Haltungsstabilität des Kontaktempfängers unter dem Einfluss von sanfter Körperberührung, sowie die Reaktionen des autonomen Nervensystems des Kontaktempfängers als Ausdruck der subjektiv wahrgenommenen Gleichgewichtsstabilität. Diese emotionale Reaktion auf die sanfte Körperberührung soll letztlich dazu dienen die Akzeptanz des Empfängers für eine robotergesteuerte Unterstützung zu messen und diese mit der Unterstützung durch menschliche Gleichgewichtsunterstützung anhand von sanfter Berührung zu vergleichen