Bewegung ist für die Entwicklung von Kindern wichtig - das gilt für gesunde Kinder genauso wie für solche mit angeborenem Herzfehler. Herzkranke Kinder sind allerdings häufig mehrfach belastet: Manche leiden unter weiteren angeborenen Krankheiten, manche liegen in der motorischen Entwicklung als Folge langer Krankenhausaufenthalte zurück, und viele werden von Eltern und Erziehern "überbehütet" und haben selber Angst vor Überanstrengung. Es drohen Übergewicht und soziale Absonderung, viele Kinder sind weniger selbstbewusst.
Nach einer Operation könnten viele der kleinen Patienten zwar wieder normal zusammen mit ihren Altersgenossen in Sport und Spiel aktiv werden, doch Ängste und Unsicherheit von Kindern, Eltern und Erziehern bleiben. Auch Ärzte sind bei ihren Empfehlungen weit gehend auf eigene Erfahrungen angewiesen. Denn detaillierte, wissenschaftlich erarbeitete Leitlinien fehlen, die aufzeigen, welche Arten von Sport und Bewegung in Abhängigkeit von Schweregrad der Herzerkrankung, Operationserfolg und Alter der Kinder empfohlen werden können.
Spielkonsolen mit Bewegungsspielen oder so genannte "Exergames" sind eine Möglichkeit, Kinder schon wenige Tage nach ihrer Herzoperation zu moderatem Sport zu motivieren. Dies hat eine Pilotstudie von Sportwissenschaftlern der Technischen Universität München (TUM) zusammen mit Kinderkardiologen am Deutschen Herzzentrum München der TUM ergeben, an der 90 Patienten teilgenommen haben. Da Exergames weniger anstrengend als normaler Sport sind und zudem im Krankenzimmer oder auf der Station "im Schlafanzug" gespielt werden können, sind sie für ärztlich überwachte erste Belastungstests besonders gut geeignet. So lernen die Kinder zum Beispiel durch geschicktes Balancieren, einen Pinguin auf dem Bildschirm auf seiner schaukelnden Eisscholle zu halten. Damit trainieren sie ihren Gleichgewichtssinn und lösen körperliche Schonhaltungen, die viele nach dem chirurgischen Eingriff annehmen. Erste sportmotorische Tests deuten darauf hin, dass Exergames eine sinnvolle Ergänzung zu krankengymnastischen Übungen sein könnten.
In einer jetzt startenden 12-monatigen Folgestudie wollen die Münchener Wissenschafter wissenschaftlich belegen, ob und auf welche Weise Exergames in der frühstationären Rehabilitation die Krankengymnastik tatsächlich ergänzen und später in ein ambulantes Bewegungsprogramm integriert werden können. Dazu werden die Kinder regelmäßig sportmotorische Fitnesstests absolvieren, die anfangs Gleichgewicht und Koordinationsfähigkeit und später auch Ausdauer und Kraft untersuchen. Ziel der Studie ist es, ein Bewegungsprogramm für Kinder mit Herzerkrankungen zu etablieren, das nach dem Krankenhaus zunächst die Wartezeit von bis zu einem Jahr auf einen Platz in einem der vier Rehabilitationszentren in Deutschland überbrückt und später Bewegung und Sport in den Alltag integriert. Dazu werden die Kinder einen individuell zusammengestellten Bewegungsplan erhalten.
Prof. Renate Oberhoffer, Inhaberin des Lehrstuhls für Sport und Gesundheitsförderung der TUM und gleichzeitig Kinderkardiologin am Deutschen Herzzentrum München, erklärt: "Wir möchten Kindern, Eltern und Erziehern die Sicherheit vermitteln, wie stark jedes einzelne Kind belastbar ist. Dazu werden wir ein Programm aus sportmotorischen Tests entwickeln, die in regelmäßigen Abständen nach der Operation Auskunft über die körperliche Fitness geben, ähnlich wie die Untersuchungen U1 bis U9 dies über den frühkindlichen Entwicklungsstand tun." Die Tests sollen Teil ärztlicher Leitlinien werden, zu deren Entwicklung Prof. Oberhoffer beitragen möchte: "Auf wissenschaftlichen Tagungen erfahre ich immer wieder, dass der Bedarf für eine solche Leitlinie groß ist. Sie könnte besonders die Ärzte entlasten, die die ambulante Nachsorge der Kinder übernehmen."
In der Nachsorge sind die Münchener Sportwissenschaftler bereits aktiv, etwa mit dem Sommercamp "KidsTUMove", wo herzkranke und übergewichtige Kinder in den Sommerferien eine Woche an einem Bewegungs- und Freizeitprogramm auf dem TUM-Campus Olympiapark teilnehmen. Zudem bietet Prof. Oberhoffers Lehrstuhl eine Kinderherzsportgruppe "Klettern" an und wird an der TUM-Fakultät für Sportwissenschaften die "Kindersportschule (KISS) für chronisch Kranke" ins Leben rufen, um das Sportprogramm in Zusammenarbeit mit Münchener Vereinen auf weitere Trendsportarten wie zum Beispiel Hiphop Dance, Inlineskaten und Streetsurfing zu erweitern.
Die neue Studie der Sportwissenschaftler und Mediziner wird ermöglicht durch den Förderverein Deutsches Herzzentrum e.V., der mehr als 15.000 Euro spendete. Die benötigten Spielkonsolen werden von der Nintendo of Europe GmbH Nintendo kostenfrei zur Verfügung gestellt. Trotzdem wirbt Prof. Oberhoffer noch um Spenden: "Um dieses Projekt langfristig über den Projektzeitraum zu etablieren, sind weitere Förderer herzlich willkommen."
Kontakt: presse(at)tum.de