Das kolorektale Karzinom ist eine Krebserkrankung des Dickdarms (Kolonkarzinom) oder des Mastdarms (Rektumkarzinom) und gehört zu den häufigsten bösartigen Tumoren. Weltweit ist Darmkrebs die vierthäufigste Krebsart. Jedoch ist die Inzidenz vor allem bei älteren Menschen zurückgegangen oder hat sich stabilisiert. Dies ist vor allem auf präventive Maßnahmen zurückzuführen. In Deutschland wird die Darmkrebsvorsorge mittels Stuhltests seit 1977 und die Koloskopie seit 2002 angeboten. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt in Deutschland bei 62 Prozent für Frauen und 63 Prozent für Männer, Tendenz steigend. Trotz dieser verbesserten Überlebensraten ist mit einer Zunahme von Folgekrebserkrankungen zu rechnen, insbesondere bei jüngeren Überlebenden, bei denen Darmkrebs immer häufiger im Frühstadium (unter 50 Jahren) auftritt. Die Gesamtüberlebensrate ist in dieser Gruppe deutlich schlechter, möglicherweise aufgrund der Entwicklung von mehrfachen Krebserkrankungen.
Der Lehrstuhl für Epidemiologie unter der Leitung von Prof. Dr. Stefanie Klug hat sich daher damit beschäftigt, wie viele Überlebende eines Kolorektalkarzinoms erneut an Krebs erkranken und als Teil der Masterarbeit von Co-Autorin Ying-Ju Tseng (MSc Epidemiology, LMU) eine Analyse dazu durchgeführt. Die Ergebnisse wurden nun unter dem Titel „Second primary cancer among 217702 colorectal cancer survivors: A analysis of national German cancer registry data” im „International Journal of Cancer“ veröffentlicht. Die Fachzeitschrift hat einen Impact Faktor von 7,316.
Die Ergebnisse basieren auf Daten von neun deutschen Krebsregistern, welche 37 Prozent der deutschen Bevölkerung abdecken. Inkludiert wurden alle Darmkrebserkrankungen zwischen 1990 und 2011 sowie Folgekrebserkrankungen, die bis 2013 auftraten. Insgesamt konnten 217.702 Fälle in die Untersuchung einbezogen werden. Davon erkrankten 18.751 im Schnitt nach ca. dreieinhalb Jahren erneut an Krebs, wobei das Durchschnittsalter bei 69 Jahren lag.
„Wir wollten untersuchen, wie hoch das Risiko einer Folgekrebserkrankung nach einem überstandenen kolorektalen Krebs ist“, erklärt Linda Liang, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Epidemiologie und Erstautorin der Publikation. „Zudem wollten wir herausfinden, in welchen Organen, also in welchem Teil des Körpers, diese zweiten Krebsarten auftreten. Dabei stellten wir fest, dass das Risiko für eine Folgekrebserkrankung insbesondere bei den jüngeren Kohorten signifikant ansteigt.“
Patient_innen, die unter 50 Jahren an Darmkrebs erkrankten, hatten ein vierfach höheres Risiko einer erneuten Krebserkrankung. Zudem lag das Krebsrisiko bei Überlebenden eines Kolorektalkarzinoms insgesamt signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung. Insbesondere waren im Rahmen einer Folgeerkrankung das Verdauungssystem, das Harnsystem sowie die weiblichen und männlichen Fortpflanzungsorgane betroffen.
„Unsere Daten waren limitiert, um zu untersuchen, warum diese zweiten Krebsarten entstehen. Wir haben jedoch analysiert, ob sich die Auswirkungen der Behandlung von kolorektalem Krebs auf die Entwicklung dieser zweiten Krebserkrankung auswirken würden. Im Rahmen der Studie untersuchten wir die Wirkung von Chemo- und Strahlentherapie. Wir konnten keinen besonderen Anstieg des Risikos feststellen, aber wir fanden einen Unterschied zwischen denjenigen, die Darmkrebs und Rektumkarzinom hatten“, so Liang.
„Wir sind froh, dass wir diese Daten der Krebsregister, die im Zentrum für Krebsregisterdaten (ZfKD) am Robert Koch-Institut (RKI) zusammengeführt werden, nutzen konnten. Die Datensammlung der Krebsregistrierungen in Deutschland hat sich sehr stark verbessert und wird sich sicherlich auch zukünftig noch weiterentwickeln“, sagt Prof. Klug. „Allerdings bieten die derzeit verfügbaren Daten nur limitiert Informationen, um wirklich belastbare Detailauswertungen vorzunehmen. Daher sollte die frühzeitige und gezielte Überwachung bestimmter Untergruppen von Darmkrebs-Überlebenden verbessert werden. Auch ist eine Aktualisierung der entsprechenden klinischen Leitlinien für die anschließende Nachsorge von Krebserkrankungen unter Berücksichtigung der Patientenmerkmale und des Krankheitsstatus notwendig.“
Zur Homepage des Lehrstuhls für Epidemiologie
Zur Publikation „Second primary cancer among 217702 colorectal cancer survivors: A analysis of national German cancer registry data“ im „International Journal of Cancer“
Kontakt:
Prof. Dr. Stefanie Klug
Lehrstuhl für Epidemiologie
Georg-Brauchle-Ring 56
80992 München
Telefon: 089 289 24950
E-Mail: stefanie.klug(at)tum.de
Linda Liang
Lehrstuhl für Epidemiologie
Georg-Brauchle-Ring 56
80992 München
Telefon: 089 289 24
E-Mail: linda.liang(at)tum.de
Text: Romy Schwaiger
Fotos: “International Journal of Cancer”/Astrid Eckert/TUM/privat