Überlastetes Personal, zu viel Bürokratie und ineffiziente Strukturen. Die Situation der Fachkräfte im Gesundheitswesen in Deutschland ist angespannt und verschärft sich in den kommenden Jahren weiter. Dies geht aus einem Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege (SVR) hervor, das am 25. April 2024 dem Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach vorgelegt und in der Bundespressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Prof. Dr. Leonie Sundmacher, Leiterin der Professur für Gesundheitsökonomie, wurde zum 1. Februar 2023 in den Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) berufen. Zusammen mit sechs weiteren hochkarätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern brachte die Gesundheitsökonomin ihre Expertise in das Gutachten ein, das Reformen im Gesundheitswesen anstoßen soll.
„Wir müssen dringend strukturelle Probleme angehen und die wertvolle Ressource Personal besser einsetzen. Hierzu gehört, dass wir medizinisch nicht-notwendige Belegungstage abbauen, Primärversorgungszentren etablieren, ambulante Kapazitäten gemeinsam planen sowie die Attraktivität insbesondere des Pflegeberufs stärken“, erläutert Prof. Sundmacher.
Ressourcenverschwendung und (k)ein Fachkräftemangel
„Fachkräfte im Gesundheitswesen – Nachhaltiger Einsatz einer knappen Ressource“, so lautet der Arbeitstitel des rund 330-seitigen Gutachtens. Die Titulierung ist hier durchaus programmatisch gewählt, da die Auswirkungen des akuten Fachkräftemangels im Gesundheitswesen zunehmend offensichtlich werden. Patientinnen und Patienten sowie Pflegebedürftige leiden unter einem erschwerten Zugang zu notwendigen und qualitativ hochwertigen Versorgungsleistungen, da die Anzahl an Fachkräften nicht ausreicht. Zudem ist die Ausrichtung der Versorgungsgestaltung oft nicht optimal auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten ausgerichtet, was deren Sicherheit gefährdet.
Kritik gibt es vor allem an der Ausbildung. Für das Fehlen von unter anderem zehntausender Ärztinnen und Ärzte machte der Gesundheitsminister die mangelnde Vorsorge verantwortlich. „Wir haben die letzten zehn Jahre ungefähr 50.000 Medizinstudienplätze zu wenig gehabt.“ Durch eine zunehmende Zahl von ausländischen Ärztinnen und Ärzten habe der Mangel bisher weitgehend kompensiert werden können. Doch nun konkurriere Deutschland zunehmend mit anderen Ländern, so Lauterbach. „Das wird so nicht weitergehen können.“ Dies erscheint paradox, denn in Relation zu anderen Ländern steht Deutschland sogar in der Spitzengruppe, was die grundsätzliche Quantität an Fachkräften anbelangt. Immerhin gebe es hierzulande etwa 1,2 Millionen Menschen in der Krankenpflege, etwa 700.000 in der Altenpflege, etwa 700.000 medizinische Fachangestellte und ungefähr 500.000 Ärztinnen und Ärzte.
Der SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Michael Hallek, Onkologe an der Universität zu Köln, erläutert: „Im internationalen Vergleich stehen, bezogen auf die Einwohnerzahl, im deutschen Gesundheitswesen relativ viele Beschäftigte zur Verfügung. Dennoch sind eindeutig Versorgungsengpässe festzustellen. Dies weist auf strukturelle Defizite im deutschen Gesundheitssystem hin. Vor diesem Hintergrund empfehlen wir ein Maßnahmenbündel, damit künftig die wertvolle Ressource der Fachkräfte gezielter im Sinne des Patientinnen- und Patientenwohls eingesetzt werden kann.“
So leistet sich die Bundesrepublik beispielsweise zu viele Krankenhäuser, die nicht die gleiche Versorgungsqualität bieten können wie spezialisierte Einrichtungen, aber mit ihrem Rund-um-die-Uhr-Betrieb viel Personal binden. Patientinnen und Patienten würden zu oft unnötig im Krankenhaus behandelt und blieben zu lange dort. Auch, dass viele Mitarbeitende in Teilzeit angestellt sind, sei ein Problem für die Einrichtungen.
Maßnahmen für die Zukunft
Das Gutachten der Sachverständigen legt vor diesem Hintergrund einen Schwerpunkt auf die Reform der Notfallversorgung insbesondere durch Notfallzentren sowie eine bessere, nicht so kleinteilige sowie heimatnahe ambulante Versorgung. Es brauche weniger unnötige Notfalleinsätze, weniger Aufnahmen im Krankenhaus und einen kürzeren Aufenthalt der Patientinnen und Patienten in der Klinik.
Außerdem sollen Pflegeberufe deutlich attraktiver werden, indem bessere Fortbildungs- und Karrieremöglichkeiten in Aussicht gestellt werden. Mit den zusätzlichen Kompetenzen von Pflegefachkräften soll auch deren Verantwortung steigen. Wenn Pflege, Heilmaßnahmen und das Verschreiben bestimmter Medikamente gebündelt übernommen werden, entstehen an anderen Stellen Kapazitäten. Zudem soll die telemedizinische Versorgung ausgebaut und die Arbeitsplätze und -bedingungen deutlich verbessert werden.
„Zur Zeitenwende gehört auch dazu, dass die Telemedizin in der vertragsärztlichen Bedarfsplanung Berücksichtigung findet. Wir müssen die verfügbaren Möglichkeiten nutzen, um Patientinnen und Patienten mit vorhandenem ärztlichen und pflegerischen Personal bestmöglich zu versorgen“, so die Gesundheitsökonomin Prof. Sundmacher abschließend.
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Zum Gutachten und der Pressemitteilung des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege
Kontakt:
Prof. Dr. Leonie Sundmacher
Professur für Gesundheitsökonomie
Georg-Brauchle Ring 60/62
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Telefon: 089 289 24464
E-Mail: leonie.sundmacher(at)tum.de
Text: Bastian Daneyko
Fotos: BMG/Rolf Schulten/Bundespressekonferenz