In einer Welt voller Gesundheitsinformationen – via Social Media-Plattformen über klassische Nachrichtenformate bis hin zu ärztlichen Empfehlungen – wird ein kompetenter Umgang mit diesen Informationen immer wichtiger. Gesundheitskompetenz bedeutet, relevante Informationen finden, verstehen, bewerten und anzuwenden zu können, um fundierte Entscheidungen für die eigene Gesundheit zu treffen. Doch Studien zeigen: für viele Menschen ist dies nicht immer einfach.
Am Mittwoch, den 02. April 2025, stellte Dr. Alexandra Fretian zusammen mit Prof. Dr. Kai Kolpatzik die Ergebnisse zum Stand der allgemeinen Gesundheitskompetenz für das Jahr 2024 im Presseclub München unter Begleitung der Bayerischen Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention, Judith Gerlach vor.
Die Ergebnisse sind Teil der umfangreicheren Studie „Survey Mental Health Literacy in Deutschland (MHLS-Germany)“, die sowohl die allgemeine als auch die psychische Gesundheitskompetenz fokussiert. Die Studie wurde von der Professur für Health Literacy unter der Leitung von Prof. Dr. Orkan Okan und den wissenschaftlichen Mitarbeitenden Dr. Alexandra Fretian sowie Dr. Torsten Bollweg durchgeführt. Das Projekt ist innerhalb einer Kooperation mit dem IDG Institut für Digitale Gesundheit (IDG) sowie dem Wort und Bild Verlag entstanden und wurde mit einer Summe von 108.900 Euro gefördert.
Prof. Okan stellt die Wichtigkeit der Studie heraus: „Seit über zehn Jahren erforschen wir Gesundheitskompetenz in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in Deutschland und unsere neuesten Ergebnisse zeigen ganz deutlich, dass immer mehr Menschen immer größere Schwierigkeiten im Umgang mit gesundheitlichen Themen haben sowohl im Bereich der körperlichen als auch psychischen Gesundheit.“
Die Online-Befragung wurde zwischen dem 16. Juli bis 22. August 2024 durchgeführt und umfasst insgesamt 2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Basisstudie sowie 500 Auszubildende in einer Zusatzbefragung. Da die Teilnahme am Smartphone, Tablet oder Computer erfolgte, handelt es sich um eine Stichprobe, die für die Internet-nutzende erwachsene Bevölkerung in Deutschland repräsentativ ist.
Kernergebnisse zur allgemeinen Gesundheitskompetenz
Die Ergebnisse der Gesundheitskompetenz in Deutschland veranschaulichen, dass sich die Situation in den letzten Jahren verschlechtert hat: Nur 24,2 Prozent der Befragten verfügen über eine hohe Gesundheitskompetenz, während 75,8 Prozent ein nur „inadäquates“ oder „problematisches“ Niveau erreichen. Als besonders schwierig wird das Beurteilen der Vor- und Nachteile von Behandlungsmöglichkeiten (67,2 Prozent empfinden dies als eher oder sehr schwierig), das Finden von Informationen zum Umgang mit psychischen Erkrankungen (55 Prozent) sowie anhand von Medienberichten zu entscheiden, wie man sich vor Krankheiten schützt (44,2 Prozent), wahrgenommen. Dr. Alexandra Fretian ordnet die Ergebnisse so ein: „Es ist wichtig zu betonen, dass es sich hier um die selbstberichtete Gesundheitskompetenz handelt – also darum, wie Menschen die empfundenen Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen einschätzen. Somit darf nicht vergessen werden, dass die Ergebnisse zwar auch mit den persönlichen Fähigkeiten und der Selbstwirksamkeit zu tun haben, aber auch mit den Umständen im Gesundheits- und Versorgungssystem.“
Im Vergleich zu früheren Studien zeigt sich eine deutliche Verschlechterung der Werte: 2014 hatten noch 54,3 Prozent der Menschen eine geringe (empfundene) Gesundheitskompetenz, 2020 waren es bereits 64,2 Prozent. Interessanterweise gibt es kaum Unterschiede zwischen Geschlechtern, Bildungsgruppen oder Einkommensklassen, jedoch schneiden jüngere Menschen sowie Personen in den alten Bundesländern sogar signifikant schlechter ab als ältere Menschen oder Befragte aus den neuen Bundesländern. „Unsere Analyse zeigt, dass soziodemografische Faktoren wie Geschlecht, Alter, Bildung oder Einkommen nur einen sehr geringen Anteil der Unterschiede in der selbst berichteten Gesundheitskompetenz erklären. Das bedeutet, dass die entscheidenden Einflussfaktoren woanders liegen, möglicherweise in sozialen Ressourcen, dem Vertrauen in medizinisches Personal oder individuellen Behandlungspräferenzen“, erläutert Dr. Torsten Bollweg.
Ein Faktor für diese Entwicklung könnte die zunehmende Verbreitung von Fehlinformationen im Internet sein. Während soziale Medien oft irreführende Inhalte verstärken, bleibt der persönliche Austausch mit Ärztinnen und Ärzten weiterhin die wichtigste Informationsquelle für die eigene Krankheitsbewältigung. „Um dem entgegenzuwirken, sind gezielte Maßnahmen erforderlich: die strategische Platzierung und Verbreitung verständlicher und evidenzbasierter Gesundheitsinformationen, eine bessere Kommunikationskompetenz von Fachkräften, eine höhere Sensibilität des Gesundheitssystems für unterschiedliche Kompetenzniveaus und eine verbesserte Fähigkeit der Menschen, verlässliche Informationen von Falschinformationen zu unterscheiden“, erklärt Fretian abschließend.
Kernergebnisse der psychischen Gesundheitskompetenz
Die Ergebnisse zur psychischen Gesundheitskompetenz als einem speziellen Teil der Gesamtstudie wurden bereits auf einer Pressekonferenz am 3. Dezember 2024 in Berlin vorgestellt:
Die Ergebnisse zeigen, dass die psychische Gesundheitskompetenz in Deutschland insgesamt sehr niedrig ist. 86,1 Prozent der Gesamtbevölkerung haben Schwierigkeiten, verlässliche Informationen zu psychischer Gesundheit zu finden, zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden. Besonders problematisch ist es für die Bevölkerung einzuschätzen, ob Informationen zu Hilfsangeboten kommerziell beeinflusst sind (69,1 Prozent), wann eine professionelle Diagnose erforderlich wäre (68,3 Prozent) und ob Medienberichte über psychische Erkrankungen vertrauenswürdig sind (68,3 Prozent).
Unter Auszubildenden ist die Situation ähnlich: 79,6 Prozent verfügen über eine niedrige psychische Gesundheitskompetenz. Auffällig ist, dass Menschen in den alten Bundesländern schlechter abschneiden als in den neuen Bundesländern, während sich bei Geschlecht, Alter und Einkommen erneut keine wesentlichen Unterschiede zeigen. Personen mit niedrigerer Bildung oder Migrationshintergrund tun sich jedoch schwerer im Umgang mit Informationen zur psychischen Gesundheit. Mehr als zwei Drittel (69,9 Prozent) der Befragten kennen jemanden mit einer psychischen Erkrankung – sich selbst eingeschlossen. Positiv hervorzuheben ist, dass männliche Auszubildende und solche mit mittlerer Bildung eine etwas höhere psychische Gesundheitskompetenz aufweisen. Regionale Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland spielen bei den Auszubildenden kaum eine Rolle.
„Auf Grundlage dieser Erkenntnisse sehen wir die Notwendigkeit, in die Stärkung der psychischen, aber auch allgemeinen Gesundheitskompetenz zu investieren, dabei Individuen, Einrichtungen und das Politikfeld systematisch in den Blick nehmen. Eine herausragende Rolle müssen wir der Stärkung der Gesundheitskompetenz in Schule und Bildung beimessen, da wir dort den Grundstein für ein gesundes Aufwachsen legen und zudem alle Kinder und Jugendlichen erreichen“, erklärt Prof. Okan abschließend.
Zur Homepage der Professur für Health Literacy
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Zum Ergebnisbericht der allgemeinen Gesundheitskompetenz
Zum Ergebnisbericht der psychischen Gesundheitskompetenz
Kontakt:
Prof. Dr. Orkan Okan
Professur für Health Literacy
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Tel.: 089 289 24986
E-Mail: Orkan.Okan[at]tum.de / info.healthliteracy[at]tum.de
Dr. Alexandra Fretian
Professur für Health Literacy
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Tel.: 089 289 24991
E-Mail: Alexandra.Fretian[at]tum.de
Torsten Bollweg
Professur für Health Literacy
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
E-Mail: Torsten.Bollweg[at]tum.de
Text: Bastian Daneyko
Fotos: W&B/Thomas Dashuber/Privat