Das Studium bedeutet für viele Jugendliche Freiheit: Die erste eigene Wohnung, neue Menschen abseits des gewohnten Umfelds kennenlernen oder auf Partys gehen. Doch der universitäre Tagesablauf kann auch viel Stress für die angehenden Akademiker_innen bedeuten. Die soziale Angststörung ("Social anxiety disorder", SAD) ist eine häufig auftretende und für den Alltag beeinträchtigende Krankheit. Insbesondere Universitätsstudierende befinden sich in einem Lebensabschnitt, in dem psychische Gesundheitsprobleme ihren Höhepunkt erreichen und hohe Kosten für die Gesellschaft bedeuten können.
Dr. Fanny Kählke, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Psychology & Digital Mental Health Care, untersuchte eine Online-Intervention hinsichtlich ihrer langfristigen Auswirkungen (nach sechs Monaten) auf die Reduzierung der SAD-Symptomatik und Kosteneffektivität. Die Studie wurde unter dem Titel „Long-Term Outcomes and Cost-Effectiveness of an Internet-Based Self-Help Intervention for Social Anxiety Disorder in University Students: Results of a Randomized Controlled Trial" im Journal “Depression and Anxiety” (Wiley) veröffentlicht. Das Fachjournal hat einen Impact Faktor von 7,4.
„Studierende mit sozialer Angststörung scheuen oft Hilfe, beispielsweise von Beratungsstellen, aufgrund von Vorurteilen und sozialen Ängsten, in Anspruch zu nehmen. Eine mögliche Lösung ist eine niederschwellige onlinebasierte Intervention, die sich letztlich als wirksam erwiesen hat. Dies bietet eine effektive Möglichkeit, den Betroffenen Hilfe anzubieten und Kosten zu reduzieren", erläutert Dr. Kählke den Hintergrund. Dazu wurden 200 deutschsprachige Studierende identifiziert, die an SAD leiden. Die Diagnose wurden mittels telefonischer Interviews bestätigt. Daraufhin wurden die Teilnehmenden einer Interventions- oder Kontrollgruppe zugeordnet.
Die Intervention bestand aus neun wöchentlichen Modulen, die verschiedene Bausteine enthielten. Die Teilnehmenden bekamen Informationstexte über die Erkrankung und deren Ursachen sowie interaktive Übungen zur Reflexion ihres Verhaltens. „In der Intervention lernen die Teilnehmenden ihr Krankheitsmodell zu verstehen und aufrechterhaltende Faktoren zu identifizieren“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin. Sie führten zudem Tagebücher und identifizierten Vermeidungsverhalten, das sie dann durch Exposition verändern sollten. Das Ziel war es, die Symptome und Ängste zu reduzieren.
„Vermeidungsverhalten verstärkt die soziale Angst langfristig. Studierende sind davon besonders betroffen, da sie soziale Interaktionen leichter umgehen können als andere soziale Gruppen wie beispielsweise Schüler_innen. Zusätzlich zu den Vermeidungsmustern treten außerdem Sicherheitsmechanismen wie die beständige Anwesenheit von Freunden oder das Mitführen eines Talismans auf", so Kählke.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Studie eine vielversprechende Perspektive für die Betroffenen. Die Stabilität und Verstärkung der Effekte über einen Zeitraum von sechs Monaten legen nahe, dass das Programm langfristige Vorteile bietet. „Unsere Studie bestätigt die Wirksamkeit internetbasierter Selbsthilfeinterventionen bei sozialer Angststörung. Die positiven Effekte legen nahe, dass die Implementierung dieser Interventionen ein wesentlicher Baustein im studentischen Gesundheitsmanagement an Universitäten sein sollte", ergänzt Kählke.
Durch den Vergleich der Kosten zwischen Kontroll- und Interventionsgruppe wurde außerdem festgestellt, dass die Intervention erhebliche Kosteneinsparungen ermöglichte. Dies äußerte sich unter anderem in reduzierten Arztbesuchen, geringeren Medikamentenkosten und weniger Fehltagen (Absentismus). Gleichzeitig war der Effekt der Intervention in der Interventionsgruppe deutlich größer als in der Kontrollgruppe, was eine optimale Kombination aus höherer Wirksamkeit und niedrigeren Kosten darstellt. Selbst ohne zusätzliche Zahlungsbereitschaft erwies sich die Intervention als kosteneffektiv, was ihre Bedeutung im Gesundheitsmanagement von Betroffenen unterstreicht.
„Unsere zukünftige Forschung konzentriert sich nun auf die Entwicklung und Evaluation von Resilienz- sowie einer Prokrastinationsintervention. Wir planen eine ‘blended-therapy’ anzubieten, die Online-Interventionen und persönliche Beratung kombiniert, um die (Kosten-)Effektivität und Kosteneffizienz zu optimieren. Unser Ziel ist es, mehr Menschen eine wirksame Unterstützung bereitzustellen, insbesondere für solche, die möglicherweise zögern, eine Beratungsstelle aufzusuchen", erläutert Fanny Kählke abschließend.
Das Verbundprojekt wurde in Kooperation mit den Universitäten Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg, Amsterdam Public Health Research Institute, Universität Bern und der Universität Ulm durchgeführt.
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Kontakt:
Dr. Fanny Kählke
Professur für Psychology & Digital Mental Health Care
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Tel.: 089 289 24966
E-Mail: fanny.kaehlke(at)tum.de
Text: Bastian Daneyko
Fotos: privat