Professor Königstorfer, wie bewerten Sie den Diesel-Skandal, den deutsche Automobilhersteller verursacht haben?
Ich war sehr enttäuscht darüber, welche Tricks einige Automobilhersteller genutzt haben, um Konsumenten zu täuschen. Das Verhalten ist korrupt und gehört bestraft.
Denken Sie denn, dass die Politik mit Fahrverboten für Diesel-Fahrzeuge dem Ziel, saubere Städte in Deutschland zu haben, einen Schritt näher kommt?
Das glaube ich nicht. Neben Diesel-Fahrzeugen gibt es eine weitere Reihe von Quellen schlechter Luftqualität, z.B. die Industrie und die Landwirtschaft. Diese Verursacher muss man neben dem Straßenverkehr ebenfalls berücksichtigen. Der Straßenverkehr erhöht die Belastung im Bereich von Feinstaub, Stickstoffoxiden und Kohlenmonoxid. Leider denken viele deutsche Bürger, dass mit der Abkehr von alten Diesel-Fahrzeugen das Problem der schlechten Luft gelöst werden könnte. Das ist nicht der Fall. Ich vermute sogar eher das Gegenteil.
Warum das?
Weil Konsumenten oft nicht reflektiert entscheiden – sie rechnen ja nicht täglich aus, wie hoch ihr Beitrag zu einer schlechten Luftqualität ist. Wenn Konsumenten nun glauben, dass nun mit dem Verbannen alter Diesel-Fahrzeuge das Problem der schlechten Luft in den Griff zu bekommen ist, werden sie vermutlich sogar nachlässiger mit der Thematik umgehen. Man bezeichnet dies als ‚Licensing’: man hat das Gefühl, ein Ziel erreicht zu haben, und widmet sich dann konkret dem entgegen gesetzten Ziel. Das lässt sich mit dem gestiegenen Selbstbewusstsein erklären, etwas erreicht zu haben.
Das heißt, dass Bürgerinnen und Bürger sogar mehr Auto fahren könnten, wenn sie denken, dass die Problematik gelöst sei?
Ja, genau. Dies wurde zwar noch nicht empirisch getestet, würde aber mit den Erkenntnissen aus anderen Feldern der Gesundheit und Nachhaltigkeit übereinstimmen. Beispielsweise waschen Neukäufer von besonders energiesparenden Waschmaschinen mehr Wäsche mit der neuen Waschmaschine als vorher mit der alten Maschine. Der Energiespareffekt verpufft und es wird sogar mehr Energie verbraucht. Menschen, die sogenanntes Fitness-Food essen, sind nach dem Konsum weniger körperlich aktiv. Lizenzeffekte greifen hier, weil sich Menschen nicht ständig kontrollieren können und wollen. Der Effekt ist meistens unbewusst. Er könnte auch dazu führen, dass Menschen mehr Auto fahren – und ironischerweise weniger Fahrradfahren, gehen oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen.
Zurück zur Diesel-Problematik: Was können Bürgerinnen und Bürger tun, was kann die Politik tun, um solche Effekte zu vermeiden?
Die Thematik ist sehr komplex. Man muss zunächst die Akzeptanz für die Notwendigkeit gewisser Maßnahmen in der Bevölkerung schaffen. Und das muss auf Basis einer ehrlichen Diskussion erfolgen: Automobilindustrie-Lobbyismus muss eingedämmt werden, indem beispielsweise die Grenzen der Belastung der Luft für Europa übernommen werden, die von der Weltgesundheitsorganisation definiert wurden. Bürgerinnen und Bürger müssen ein Gefühl dafür entwickeln, wann sie welchen Beitrag zu einer schlechten Luftqualität durch ihr eigenes Verhalten liefern. Und natürlich wird es letztlich unbequem, wenn man das täglich erlernte Verhalten – Gewohnheiten – ändern muss. Das geht nicht von heute auf morgen und muss von einer Bildungsinitiative begleitet werden. Da Lungenerkrankungen selten als unmittelbare Folge schlechter Luft auftreten, fehlt hier das sofortige Feedback. Nichtsdestotrotz sind die Folgen später spürbar: Institutionen aus der ganzen Welt warnen vor den oft unterschätzten Folgen schlechter Luft. Schlechte Luft schadet allen – unwiederbringlich! Es wird eine zentrale Aufgabe sein, Lösungen für die Zukunft zu finden, die den Menschen nach wie vor die gewünschte Mobilität ermöglichen, aber keine oder geringere Effekte auf den Klimawandel haben.
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