Nachsorgeuntersuchungen, etwa bei Bluthochdruck, bieten Ärzten die Möglichkeit, Risikofaktoren der Patienten zu überwachen, Behandlungsergebnisse zu beurteilen und die Therapietreue zu fördern. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen ist die Nachfrage nach präventiven Gesundheitsleistungen jedoch häufig gering. Gründe dafür sind unter anderem eine geringe Aufmerksamkeit (Salienz) und weit verbreitete Fehlannahmen über die Notwendigkeit von Vorsorge. So herrscht oft die Vorstellung, dass bei Symptomfreiheit keine Behandlung erforderlich sei.
Wie sich diese Situation verbessern lässt, war Gegenstand einer neuen Studie unter der Betreuung von Prof. Dr. Nikkil Sudharsanan, Leiter der Professur für Behavioral Science for Disease Prevention and Health Care. Das Forscherteam um die wissenschaftliche Mitarbeiterin Caterina Favaretti ging der Frage nach, ob eine Terminerinnerung, die zusätzlich gezielt Gesundheitsmythen entkräftet („debunking“), die Inanspruchnahme von präventiver Versorgung verbessert. Die Ergebnisse wurden unter dem Titel „Does bundling reminders with messages debunking misconceptions improve the demand for preventive health services? A randomized controlled trial among adults with hypertension in Punjab, India“ in der internationalen Fachzeitschrift „Social Science & Medicine“ publiziert.
Prof. Suharsanan betont: „Eine große Herausforderung bei der Verbesserung der Inanspruchnahme von Vorsorgediensten besteht darin, dass sich viele Menschen gesund fühlen und glauben, keine medizinische Betreuung zu benötigen. Dieses Missverständnis ist weit verbreitet und stellt ein zentrales Hindernis für eine bessere Prävention dar.“
Im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie prüften die Forschenden, ob die Kombination aus klassischen Terminerinnerungen und gezielten Korrekturen von Gesundheitsirrtümern die Nachfrage nach Vorsorgeleistungen steigert. Dafür wurden 463 Personen mit unkontrolliertem Bluthochdruck in zwei öffentlichen Kliniken in Punjab, Indien, rekrutiert. Die Teilnehmenden erhielten entweder die übliche Versorgung ohne Erinnerung (Kontrollgruppe) oder einen telefonischen Reminder, der neben Datum und Ort des nächsten Arzttermins auch zwei weit verbreitete Fehlannahmen über die Notwendigkeit regelmäßiger Blutdruckkontrollen und medikamentöser Behandlung korrigierte.
Favaretti erläutert den Forschungshintergrund: „Viele Menschen mit Bluthochdruck nehmen ihre Nachsorgetermine nicht wahr – obwohl diese entscheidend für die Behandlung einer chronischen Erkrankung sind, die sich mit der Zeit verschlimmert. Während frühere Studien Vergesslichkeit oder Voreingenommenheit als Hauptursachen nennen, richten wir den Blick auf einen anderen, oft übersehenen Faktor: Fehlannahmen über die Notwendigkeit einer fortlaufenden Behandlung. Das ist insbesondere in Ländern wie Indien relevant, wo viele Menschen stärker mit Infektionskrankheiten vertraut sind und deshalb annehmen, dass medizinische Betreuung nur bei akuten Symptomen erforderlich ist. Manche beenden daher die Behandlung, sobald ihr Blutdruck in den Normalbereich zurückkehrt; andere setzen Medikamente ab oder verzichten auf Kontrollbesuche, weil sie sich gut fühlen. Unsere Studie zielt genau darauf ab, diese Missverständnisse zu korrigieren.“
Die Ergebnisse zeigen, dass die Erinnerung die Teilnahme an den Nachuntersuchungen deutlich erhöhte: 12,1 Prozent mehr Teilnehmerinnen der Interventionsgruppe erschienen zu ihren Terminen im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die Erinnerung hatte also eine Wirkung – hauptsächlich, weil sie den Termin selbst stärker ins Bewusstsein rückte. Die zusätzlichen Informationen, die dazu dienen sollten, Fehlvorstellungen zu korrigieren, hatten hingegen keinen signifikanten Einfluss auf eben diese Fehlvorstellungen. Die Überzeugungen der Teilnehmerinnen in Bezug auf Bluthochdruck blieben weitgehend unverändert – die meisten beantworteten zentrale Fragen beim Follow-up genauso falsch wie in der Ausgangsbefragung.
„Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, Verhaltensbotschaften zu gestalten. Die meisten Ansätze wurden jedoch in Ländern mit hohem Einkommen entwickelt und meist unter kontrollierten Laborbedingungen getestet“, beschreibt Favaretti eine Herausforderung der Forschung. „Im Gegensatz dazu arbeiten wir in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, wo solche Strategien selten in realen, den lokalen Gegebenheiten entsprechenden Kontexten erprobt wurden. Dabei haben wir festgestellt, dass eine einfache Nachricht wie die von uns verwendete nicht ausreicht, um Fehlvorstellungen wirkungsvoll zu beeinflussen.“
Insgesamt zeigt die Studie, dass persönliche Erinnerungsanrufe bereits einen wichtigen Beitrag zur besseren Inanspruchnahme präventiver Gesundheitsangebote leisten können. Gleichzeitig verdeutlichen die Ergebnisse die Hartnäckigkeit von Fehlannahmen über chronische Erkrankungen wie Bluthochdruck. Um nachhaltige Verhaltensänderungen zu erzielen und Irrtümer zu reduzieren, sind laut Favaretti weiterentwickelte Ansätze notwendig. Denkbar seien Experimente mit unterschiedlichen Kommunikationsrahmungen, stärker personalisierte oder emotional ansprechende Botschaften, der Einsatz sozialer Normen – etwa, dass konsequente Behandlung die Regel sei – oder die Einbindung vertrauenswürdiger Akteure im Gesundheitswesen zur Vermittlung zentraler Inhalte.
Kontakt:
Prof. Dr. Nikkil Sudharsanan
Rudolf Mößbauer Professur für Behavioral Science for Disease Prevention and Health Care
TUM Campus im Olympiapark
Am Olympiacampus 11
80809 München
Tel.: 089 289 24990
E-Mail: nikkil.sudharsanan(at)tum.de
Caterina Favaretti
Rudolf Mößbauer Professur für Behavioral Science for Disease Prevention and Health Care
TUM Campus im Olympiapark
Am Olympiacampus 11
80809 München
E-Mail: caterina.favaretti(at)tum.de
Text: Jasmin Schol
Fotos: Pexels/Privat