Digitale Gesundheitsanwendungen gewinnen in der Prävention von Typ-2-Diabetes zunehmend an Bedeutung. Eine neue systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse der Professur für Public Health und Prävention von Prof. Dr. Michael Laxy fasst erstmals umfassend die Wirksamkeit von App-basierten Interventionen bei Menschen mit Prädiabetes zusammen. Die Studie wurde im Fachjournal „Obesity Reviews“ veröffentlicht, das einen Impact Faktor von 7,4 hat.
Weltweit sind etwa zehn Prozent der Erwachsenen von Diabetes betroffen. Rund 90 Prozent davon sind an Typ-2-Diabetes erkrankt. Frühzeitige Prävention ist entscheidend und Smartphone-Apps versprechen, diese zugänglich und kosteneffizient zu gestalten. Doch wie wirksam sind solche digitalen Programme tatsächlich? Um diese Frage zu beantworten, analysierte das Forscherteam 18 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt über 6.000 Teilnehmenden. In 15 dieser Studien konnte die Autorinnen und Autoren der Professur für Public Health und Prävention auch statistische Meta-Analysen durchführen. Das Ergebnis: App-basierte Interventionen führten zu statistisch signifikanten, wenn auch moderaten Verbesserungen klinischer Kennzahlen.
So trat eine durchschnittliche Gewichtsreduktion von 1,35 Kilogramm, eine Abnahme des Body-Mass-Index (BMI) um 0,53 kg/m² sowie eine Senkung des Langzeitblutzuckers um 0,08 Prozent auf. Zudem konnten positive Trends in Motivation, Selbstwirksamkeit und gesundem Ernährungsverhalten festgestellt werden.
„Digitale Gesundheitsanwendungen haben ein enormes Potenzial – aber wir müssen besser verstehen, wie wirksam sie tatsächlich sind“, erklärt Laura Suhlrie, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Erstautorin der Studie. „Unser Ziel war es, die vorhandene Evidenz zur Effektivität von App-basierten Interventionen systematisch zu bewerten.“
„Die Ergebnisse zeigen, dass die bislang in Studien untersuchten Smartphone-Apps das Gesundheitsverhalten sowie metabolische Parameter positiv beeinflussen können – wenn auch in eher moderatem Ausmaß,“ ergänzt Dr. Anna-Janina Stephan, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Public Health und Prävention und Co-Leiterin der Studie.
Die Analyse zeigte, dass die stärksten Effekte innerhalb der ersten sechs Monate auftraten. Danach schwächten sich die Verbesserungen ab, was auf eine nachlassende Nutzung oder Motivation hinweisen könnte. Nur wenige Studien verfolgten die Teilnehmenden über längere Zeiträume.
„Die bisherigen Daten reichen nicht aus, um den langfristigen Nutzen dieser Apps sicher zu beurteilen“, betont Nancy Abdelmalak, ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Public Health und Prävention und Co-Autorin. „Wir brauchen mehr hochwertige Studien mit längeren Nachbeobachtungszeiträumen, um zu verstehen, ob die positiven Effekte nachhaltig sind – und welche Zielgruppen besonders profitieren.“
Zudem fehlen bislang Daten zu möglichen Unterschieden zwischen Alters-, Bildungs- und Einkommensgruppen. Damit bleibt unklar, ob digitale Präventionsangebote soziale Gesundheitsunterschiede verringern oder eher verstärken. „Ein zentraler Punkt ist die Frage der Gerechtigkeit: Die bisherigen Studien erlauben keine belastbaren Rückschlüsse darauf, in welchen Bevölkerungsgruppen Smartphone-Apps besonders wirksam oder weniger wirksam sind. Unabhängig davon haben Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status möglicherweise einen eingeschränkten Zugang zu digitalen Geräten – und damit auch zu digitalen Gesundheitsangeboten. Dies gilt es bei gesundheitspolitischen Entscheidungen zu berücksichtigen“, sagt Abdelmalak.
Interessant war auch, dass Interventionen mit zusätzlichen Face-to-Face-Komponenten – etwa persönlichen Beratungen oder Gruppensitzungen – tendenziell stärkere Effekte zeigten. Daraus schließen die Forschenden, dass digitale Programme am wirksamsten sind, wenn sie mit persönlicher Betreuung kombiniert werden.
„App-Interventionen sind grundsätzlich deutlich besser skalierbar als viele klassische In-person-Programme. Ob sie – wie manche In-person-Programme – langfristig das Risiko für Typ-2-Diabetes senken, ist bislang unklar und bedarf weiterer Forschung“, so Prof. Laxy. „Die Entwicklungen in diesem Feld sind allerdings sehr dynamisch. Es ist denkbar, dass Weiterentwicklungen – etwa die Integration von Sensorik oder hybride Ansätze, die digitale Applikationen mit persönlichem Coaching kombinieren – die Effektivität solcher Interventionen zukünftig deutlich verbessern.“
Mit ihrer Arbeit liefert das TUM-Team eine solide wissenschaftliche Basis für die Bewertung und Weiterentwicklung digitaler Diabetespräventionsprogramme. Dies ist ein Thema, das angesichts der zunehmenden Digitalisierung des Gesundheitswesens und der Einführung von digitalen Gesundheitsanwendungen in Deutschland hochaktuell ist.
„Unsere Ergebnisse unterstützen politische und gesundheitliche Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger darin, fundierte Entscheidungen zur Förderung digitaler Präventionsangebote zu treffen“, sagt Abdelmalak. „Zugleich zeigen sie klar, wo noch Forschungslücken bestehen – insbesondere bei der Frage der Langzeitwirksamkeit und der gesundheitlichen Chancengleichheit.“
Die Autorinnen und Autoren empfehlen künftig Studien, die die Langzeitwirkung, Kosten-Nutzen-Aspekte und soziale Dimensionen digitaler Prävention stärker beleuchten. Sie betonen, dass kleine individuelle Effekte bei breiter Anwendung dennoch eine relevante Wirkung entfalten könnten.
„Wenn wir es schaffen, diese Tools gezielt, evidenzbasiert und gerecht einzusetzen, können digitale Interventionen zu einem wichtigen Baustein der öffentlichen Gesundheitsförderung werden“, resümiert Suhlrie.
Zur Publikation „Effectiveness of smartphone application-based interventions to prevent type 2 diabetes mellitus in individuals with prediabetes: A systematic review and meta-analysis” im Journal „Obesity Reviews”
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Kontakt:
Prof. Dr. Michael Laxy
Professur für Public Health und Prävention
Am Olympiacampus 11
80809 München
Tel.: 089 289 24977
E-Mail: michael.laxy(at)tum.de
Laura Suhlrie
Professur für Public Health und Prävention
Am Olympiacampus 11
80809 München
Tel.: 089 289 24995
E-Mail: laura.suhlrie(at)tum.de
Nancy Abdelmalak
Professur für Public Health und Prävention
Am Olympiacampus 11
80809 München
Tel.: 089 289 29764
E-Mail: nancy.abdelmalak(at)tum.de
Text: Romy Schwaiger
Fotos: „Obesity Reviews”/Astrid Eckert, TUM/privat