Ein Herzfehler zählt zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen. In Deutschland kommen jedes Jahr ca. 6.500 Kinder mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt. Dank des medizinischen und technologischen Fortschritts erreichen heute mehr als 90 Prozent von ihnen das Erwachsenenalter. Erwachsene mit angeborenem Herzfehler (EMAH) haben jedoch ein erhöhtes Risiko für psychische Störungen, wie beispielsweise Depressionen und Angststörungen. Inwiefern diese im Rahmen einer Traumatisierung zu sehen sind, ist bisher noch unklar. Es gilt mittlerweile als erwiesen, dass viele Patient_innen nach belastenden, medizinischen Eingriffen oder im Rahmen schwerwiegender Erkrankungen eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln. Trotz dieser Befunde liegen bislang keine systematischen Studien zur Erfassung von PTBS bei Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler vor. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Inzidenz und Prävalenz der PTBS in der organmedizinisch-orientierten Versorgung deutlich unterschätzt wird und damit einhergehend potentiell negative Einflussfaktoren auf den Behandlungsverlauf außer Acht gelassen werden.
An diesem Punkt möchte nun ein Projekt der Arbeitsgruppe Sportpsychologie unter dem Titel „Analyse von Posttraumatischer Belastungsstörung bei Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (ABS-AHF): Die Vorbereitung für ein holistisches Versorgungskonzept“ ansetzen. Es wurde von Caroline Andonian, Doktorandin von Prof. Dr. Jürgen Beckmann und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Herzzentrum München erfolgreich eingeworben und nun durchgeführt. Prof. Beckmann ist Mitantragsteller bei diesem Projekt. Die Studie wird von der Deutschen Herzstiftung mit rund 80.000 Euro gefördert und hat eine Laufzeit von 18 Monaten.
Durch die erstmalige Untersuchung des Vorhandenseins von PTBS bei Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern sowie relevanter Einflussgrößen soll eine bessere Kenntnis über vermeidbare Probleme und inhärente Ressourcen als Basis für die Entwicklung einer psychokardiologischen Versorgung für diese Patient_innen geschaffen werden. Im Projekt sollen Risiko- und Schutzfaktoren für die Entwicklung einer PTBS identifiziert werden. Anhand dessen sollen Behandler_innen dazu befähigt werden, vorhersehbare Risikofaktoren für psychische Belastungen bei Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern zu erkennen und präventiv zu verhindern, sofern möglich. Als langfristiges Ziel soll ein holistisches Versorgungskonzept für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern erstellt werden, das medizinische und psychosoziale Aspekte gleichermaßen miteinbezieht.
"Herzprobleme sind immer auch Herzensprobleme“, so Andonian. „Die bisher rein naturwissenschaftliche Ausrichtung ließ das psychische Wohlbefinden vieler Betroffenden allerdings lange außer Acht. Am Deutschen Herzzentrum München haben wir daher eine groß angelegte Untersuchung des psychischen Zustands sowie der Lebensqualität bei über 4.000 Patient_innen mit angeborenen Herzfehlern initiiert. Unser langfristiges Ziel ist es, medizinische Behandlungserfolge der letzten Jahrzehnte zu stabilisieren, eine möglichst optimale Genesung zu fördern und die Lebenszufriedenheit betroffener Patienten zu stärken.“
„Bei angeborenen Herzfehlern müssen zum Teil bereits im frühkindlichen Alter mehrere Operationen am Herzen vorgenommen werden, was mit einer entsprechenden Hospitalisierung verbunden ist. Dadurch ergeben sich teilweise längere Trennungen von den Eltern. Davon ist oft das gesamte Familiensystem betroffen“, so Prof. Beckmann, Ordinarius des ehemaligen Lehrstuhls für Sportpsychologie und jetzt Mitglied der TUM Senior Excellence Faculty. „Die dabei auftretenden Belastungsfolgen werden oft nicht gleich erkannt und bislang auch nicht in Behandlungskonzepte einbezogen. An diesem Punkt wollen wir nun ansetzen und herausfinden, wie wir aus Sicht der Psychotherapie eingreifen und PTBS bei Menschen mit angeborenen Herzfehlern behandeln können.“
Das Projekt umfasst ein Mixed-Method-Design, das aus quantitativen und qualitativen Erhebungen besteht. Im Rahmen einer prospektiv-epidemiologischen Querschnittsstudie sollen psychologische Outcome-Variablen über explorative psychometrische Fragebögen erhoben werden. Zudem erfolgt eine qualitative Erfassung der idiographischen, narrativen Aspekte der psychosozialen Gesundheit und potenziell traumatischen Erfahrungen bei Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern mittels teilstrukturierter Interviews. Durch die Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren soll eine wechselseitige Ergänzung durch Befunde angestrebt werden, die zu einem breiteren und tieferen Verständnis der psychosozialen Situation von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern führen soll.
„Als Erstes wollen wir verlässliche Prävalenzdaten zu PTBS bei Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern erhalten, anschließend sollen dann die Einfluss- und Risikofaktoren evaluiert werden“, so Andonian. „Uns interessiert insbesondere, welche modifizierbaren Faktoren sich identifizieren lassen, um daraus psychologische Begleitmaßnahmen im Rahmen einer ganzheitlichen Herzmedizin zu etablieren.“
Auf Basis der dann gewonnenen Daten soll eine evidenzbasierte Grundlage für Präventions- und Behandlungsmaßnahmen von PTBS bei Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern geschaffen werden. Im weiteren Verlauf wird beabsichtigt, subgruppenspezifische Merkmale zu isolieren, um so eine maßgeschneiderte Behandlung zu ermöglichen.
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Kontakt:
Prof. Dr. Jürgen Beckmann
TUM Senior Excellence Faculty
Arcisstr. 21
80333 München
E-Mail: Juergen.Beckmann(at)tum.de
Caroline Andonian
Deutsches Herzzentrum München
Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie
Arbeitsgruppe Psychokardiologie
Lazarettstr. 36
80636 München
E-Mail: andonian(at)dhm.mhn.de
Text: Romy Schwaiger
Fotos: Deutsche Herzstiftung/privat