Weltweit gibt es 1,3 Milliarden Menschen mit verschiedenen Arten von Beeinträchtigungen. Das entspricht etwa 15 Prozent der gesamten Weltbevölkerung. Trotz dieser hohen Zahl wurden bislang jedoch nur selten Studien zu den Bedürfnissen und Herausforderungen von Menschen mit Beeinträchtigung durchgeführt. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sind Menschen mit Behinderungen unter anderem mit gesundheitlichen Ungleichheiten konfrontiert. Sie sind beispielsweise weniger körperlich aktiv und neigen eher zu Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie Schwierigkeiten haben, einen gesunden Lebensstil zu führen und insbesondere ein gesundes Gewicht zu halten. Aufgrund des wachsenden Problems von Übergewicht und Adipositas ist es wichtig, wirksame Maßnahmen zur Gewichtsreduzierung auch und besonders für diese Zielgruppe zu ermitteln.
Aus diesem Grund hat der Lehrstuhl für Epidemiologie von Ordinaria Prof. Dr. Stefanie Klug ein systematisches Literaturreview auf Basis von drei elektronischen Datenbanken durchgeführt, um randomisierte kontrollierte Studien zu Verhaltensmaßnahmen und gewichtsbezogenen Ergebnissen bei Menschen mit körperlichen Behinderungen zu identifizieren. Die Interventionen der Studien, die bis Mai 2022 durchgeführt wurden, wurden in die Kategorien Ernährung, körperliche Aktivität, Erziehung/Coaching oder Mehrkomponenten-Maßnahmen eingeteilt. Die Ergebnisse der Studie wurden nun unter dem Titel „Behavioral weight loss interventions for people with physical disabilities: A systematic review“ im Journal „Obesity Reviews“ veröffentlicht. Die Fachzeitschrift hat einen Impact Faktor von 10,867.
„Inhaltlich haben wir darauf abgezielt, die Wirkung verhaltensbezogener Maßnahmen zur Gewichtsreduktion bei Menschen mit körperlicher Behinderung zu bewerten“, erklärt Jihad Hossaini, Erstautor des Reviews und mittlerweile wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Social Determinants of Health. „Ein zusätzliches, eher latentes Ziel war es, die verschiedenen Interventionen und Interventionsarten für diese Zielgruppe zusammenzufassen. Im Prinzip haben wir eine umfassende Beschreibung und Bewertung aller aktuellen Maßnahmen zur Gewichtsreduktion für Menschen mit körperlicher Behinderung und Übergewicht angestrebt.”
Vanesa Osmani, Co-Autorin der Publikation und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Epidemiologie, ergänzt: „Wir haben festgestellt, dass die Fettleibigkeitsrate bei Menschen mit Behinderungen zunimmt. Daher wollten wir herausfinden, welche Maßnahmen bei dieser Zielgruppe zur Gewichtsabnahme beitragen. Wir haben uns explizit auf diese Gruppe konzentriert, weil in diesem Bereich noch nicht so viele Forschungsarbeiten durchgeführt wurden.“
Insgesamt wurden 60 Studien mit 6.511 Teilnehmenden in die qualitative Synthese einbezogen. 32 der Studien umfassten mehrere Maßnahmen, wie beispielsweise Ernährung und körperliche Aktivität. 14 Studien konzentrierten sich nur auf die Ernährung, neun Studien setzten hauptsächlich Maßnahmen zur körperlichen Betätigung ein und in fünf Untersuchungen wurden hauptsächlich Aufklärungs- oder Beratungsmaßnahmen durchgeführt. Dabei konnte gezeigt werden, dass umfangreiche Ernährungsinterventionen oder langfristige Mehrkomponenten-Interventionen zu einer klinisch relevanten Gewichtsreduktion von mindestens fünf Prozent bei Menschen über 50 Jahren mit leichten bis mittelschweren Mobilitätseinschränkungen führen könnten. Jedoch gibt es insgesamt nur begrenzte Evidenzen zu dieser Thematik. Aufgrund der großen Heterogenität der Studien und der teilweise geringen Studienqualität müssen die Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden.
„Wir haben in dieser Arbeit alle publizierten Evidenzen zusammengetragen und bewertet“, erklärt Prof. Klug abschließend. „Allerdings sind große Studien mit hoher Qualität nötig, um diese wichtige Forschungsfrage weiter zu untersuchen. Mit der Grundlage, die mit diesem Review geschaffen wurde, können künftige Untersuchungen die aktuellen Interventionen auch auf weitere schwer erreichbare Zielgruppen übertragen.“
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Zur Publikation „Behavioral weight loss interventions for people with physical disabilities: A systematic review” im Journal “Obesity Reviews”
Kontakt:
Prof. Dr. Stefanie Klug, MPH
Lehrstuhl für Epidemiologie
Georg-Brauchle-Ring 56
80992 München
Telefon: 089 289 24950
E-Mail: sekretariat.klug.epidemiologie(at)mh.tum.de
Jihad Hossaini
Lehrstuhl für Social Determinants of Health
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
E-Mail: jihad.hossaini(at)tum.de
Vanesa Osmani
Lehrstuhl für Epidemiologie
Georg-Brauchle-Ring 56
80992 München
E-Mail: vanesa.osmani(at)mh.tum.de
Text: Romy Schwaiger
Fotos: „Obesity Reviews”/Astrid Eckert/TUM/privat