In Europa sind Übergewicht und Adipositas weit verbreitet und verursachen erhebliche gesundheitliche und wirtschaftliche Belastungen. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet die Verpflegung außer Haus, da beispielsweise in Restaurants oft energiereiche Speisen konsumiert werden. Maßnahmen wie die verpflichtende Kennzeichnung von Kalorien und die Besteuerung zuckergesüßter Getränke (engl.: sugar-sweetened beverage taxation, kurz SSB-Steuer) sollen gesünderes Verhalten fördern. Weltweit wird dies bereits in 117 Ländern, z. B. auch in Großbritannien und Frankreich, umgesetzt. Zwar belegen verschiedene Studien positive Effekte beider Maßnahmen, doch vergleichende Analysen zu Wirksamkeit und zu sozialen Unterschieden in den Auswirkungen fehlen bislang, insbesondere in Deutschland.
Um diese Lücke zu schließen, untersucht die neue Studie der Professur für Public Health and Prevention unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Laxy die potenziellen gesundheitlichen Effekte der SSB-Steuer und Kalorienangaben in Menüs. Das Forschungsteam um den wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Karl Emmert-Fees ging dabei der Frage nach, wie sich diese Maßnahmen auf die Reduktion der Adipositasprävalenz und der kardiovaskulären Mortalität sowie auf soziale Ungleichheiten in Belgien und Deutschland auswirken. Die Ergebnisse wurden nun unter dem Titel „Estimating the health impact of menu calorie labelling policy and sugar-sweetened beverage taxation in two European countries: a microsimulation study“ in der internationalen Fachzeitschrift „European Journal of Preventive Cardiology “ publiziert. Das Journal hat einen Impact Factor von 8,6.
In der Studie wurden mithilfe von Mikrosimulationsmodellen die gesundheitlichen Auswirkungen der zwei politischen Interventionen über einen Zeitraum von 20 Jahren (2022–2041) untersucht. „In Deutschland gibt es derzeit keine vergleichbaren Maßnahmen. Uns hat daher interessiert, welche Folgen ihre Einführung hätte, um auf dieser Grundlage auch eine gesellschaftliche Debatte führen zu können“, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Emmert-Fees. „In Public Health und den Gesundheitswissenschaften werden solche Ansätze zunehmend mit mathematischen Modellen bewertet, um ihren potenziellen Einfluss evidenzbasiert abschätzen zu können.“
Simuliert wurden drei unterschiedliche Szenarien: eine teilweise Umsetzung der Kalorienkennzeichnung in großen Gastronomiebetrieben (mit mindestens 250 Beschäftigten), eine vollständige Umsetzung in allen entsprechenden Betrieben sowie verschiedene Steuersätze auf zuckergesüßte Getränke (10 %, 20 % und 30 %). Dr. Emmert-Fees betont, dass es bei den Kalorienangaben nicht darum geht, Menschen bei der Essenswahl zu stigmatisieren: „Ziel ist es, informierte Entscheidungen zu ermöglichen – auf Basis des Wissens, wie kalorienreich bestimmte Speisen sind.“
Die Ergebnisse zeigen: eine flächendeckende Kalorienkennzeichnung in allen gastronomischen Einrichtungen führt sowohl in Deutschland als auch in Belgien zu einer deutlich stärkeren Reduktion der Adipositasprävalenz als die Einführung einer SSB-Steuer. Am wirksamsten ist die Maßnahme, wenn sie konsequent von großen Restaurantketten bis hin zu kleinen Cafés umgesetzt wird. Laut Dr. Emmert-Fees könnte so die Prävalenz von Übergewicht in Deutschland um bis zu fünf Prozentpunkte gesenkt werden – insbesondere in sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Im Gegensatz dazu wirkt sich die Zuckersteuer in Belgien deutlicher auf die Senkung der kardiovaskulären Sterblichkeitsrate aus als die Kalorienkennzeichnung. In Deutschland fällt dieser Effekt jedoch geringer aus.
Auf Grundlage der Befunde empfiehlt das Forscherteam, beide Instrumente langfristig zu implementieren, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Adipositas in der Bevölkerung zu reduzieren. „Die positiven Gesundheitseffekte dieser Instrumente werden oft unterschätzt – dabei können sie langfristig einen wichtigen Beitrag leisten“, so Dr. Emmert-Fees. Klar sei, dass solche Maßnahmen kein Allheilmittel sein können, sondern nur Teil eines umfassenderen Ansatzes. „Man sollte diverse regulatorische Instrumente auch von politischer Seite ernst nehmen. Dazu bedarf es weiterer Forschung, um zu verstehen, in welcher Kombination verschiedene Instrumente am effektivsten sind und politischen Willen, diese umzusetzen.“
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Kontakt:
Prof. Dr. Michael Laxy
Professur für Public Health and Prevention
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Am Olympiacampus 11
80809 München
Tel.: 089 289 24977
E-Mail: michael.laxy(at)tum.de
Dr. Karl Emmert-Fees
Professur für Public Health and Prevention
TUM Campus im Olympiapark
Am Olympiacampus 11
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Tel.: 089 289 24981
E-Mail: karl.emmert-fees(at)tum.de
Text: Jasmin Schol
Fotos: Privat/Astrid Eckert/Unsplash