Das deutsche Gesundheitswesen wird von einer Vielzahl an Herausforderungen belastet: die steigende Lebenserwartung, der zunehmende Fachkräftemangel und eine parallele Unter-, Über- sowie Fehlversorgung. Gleichzeitig erschweren komplexe Strukturen und bürokratische Hürden den Zugang zu notwendigen Leistungen, wodurch viele Patientinnen und Patienten Schwierigkeiten haben, sich im segmentierten System zurechtzufinden. In diesem Kontext gewinnen innovative Ansätze zur besseren Patientenversorgung und -steuerung an Bedeutung. Unter anderem werden Gesundheitslotsen als ein möglicher Weg diskutiert, um Patientinnen und Patienten bei der Navigation durch das System zu unterstützen. Ein Projekt, das sich die Integration von Lotsen in den Versorgungsalltag zum Ziel gesetzt hat, ist der sogenannte „Cardiolotse“.
Unter der Führung von Prof. Dr. Leonie Sundmacher, Leiterin der Professur für Gesundheitsökonomie, war das Forschungsteam um ihre wissenschaftlichen Mitarbeitenden Dr. Wiebke Schüttig, Marie Coors und Saskia Kropp damit betraut, die Wirksamkeit sowie die gesundheitsökonomischen Konsequenzen des „Cardiolotsen“ zu evaluieren. Die Ergebnisse dieser Wirksamkeitsanalyse wurden unter dem Titel „Reducing rehospitalization in cardiac patients: a randomized, controlled trial of a cardiac care management program (“Cardiolotse”) in Germany“ im Fachjournal BioMed Central (BMC) Medicine veröffentlicht. Und die Befunde der gesundheitsökonomischen Analyse sind im European Journal of Health Economics unter dem Titel „Cost-effectiveness and cost-utility analysis of a nurse-led, transitional care model to improve care coordination for patients with cardiovascular diseases: results from the “Cardiolotse” study“ publiziert worden.
Der Cardiolotse ist ein vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördertes Forschungsvorhaben, das in Zusammenarbeit mit der AOK Nordost und Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH realisiert wurde. Dieser neue Versorgungsansatz soll die poststationäre Weiterbehandlung verbessern und wurde am Beispiel von kardiologischen Erkrankungen erprobt. Die Implementierung des Cardiolotsen wurde als randomisierte kontrollierte Studie umgesetzt. Dabei bildeten die in der Studie erhobenen Primärdaten sowie die verknüpften Routinedaten der AOK Nordost die Datengrundlage.
Als kritische Phase in der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen wurde der Übergang vom stationären in den ambulanten Sektor identifiziert. Um die Versorgungslücke zu schließen, stand den Betroffenen der speziell geschulte Cardiolotse sozusagen als „Kümmerer“ und persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung. Zu den Hauptaufgaben des Cardiolotsen gehörte es, als intersektorales und interdisziplinäres Bindeglied zu fungieren, die Patientinnen und Patienten über die Erkrankung zu informieren, die Eigenbeteiligung zu stärken und Betreuungsangebote zu vermitteln.
„Der Einsatz des Cardiolotsen führte zu einer niedrigeren Rehospitalisierungsrate, verkürzte die Krankenhausverweildauer und verbesserte die Compliance der Patientinnen und Patienten“, fasst Dr. Wiebke Schüttig, stellvertretende Fachgebietsleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, die Ergebnisse der Wirksamkeitsanalyse zusammen. In Subgruppenanalysen habe sich zudem gezeigt, dass die positiven Effekte des Cardiolotsen insbesondere bei Patientinnen und Patienten über 70 Jahren und mit geringen Deutschkenntnissen auftraten, so Schüttig.
Weiterhin ergänzt Marie Coors, ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin, welche Erkenntnisse aus gesundheitsökonomischer Perspektive in der zweiten Studie gewonnen wurden: „Sowohl die Reduzierung der Rehospitalisierungsrate als auch der Krankenhausverweildauer spiegeln sich in niedrigeren Leistungsausgaben, insbesondere im stationären Bereich, wider. In der Konsequenz kann der Cardiolotse als kosteneffektiv aus Sicht der gesetzlichen Krankenkassen im Vergleich zur Regelversorgung bewertet werden.“
Während sich der Innovationsausschuss noch zurückhaltend gegenüber einer Überführung von Gesundheitslotsen in die Regelversorgung zeigt, formuliert Prof. Leonie Sundmacher klare Anforderungen: „Eine Implementierung der Lotsenversorgung, die allen Versicherten unabhängig von ihrer Kassenzugehörigkeit zusteht, sollte erfolgen, wenn die zentralen Fragen des profitierenden Patientenkollektivs, der Finanzierung und der Arbeitsmarkteingliederung beantwortet werden können sowie außerdem eindeutige Belege für einen Zusatznutzen vorliegen.“
Welche Potenziale in einer evidenzbasierten und strukturierten Einführung des Lotsenkonzepts liegen und welche weiteren gesundheitspolitischen Maßnahmen Bestandteil zukünftiger Reformen werden sollten, beantwortete Prof. Leonie Sundmacher ausführlich in einem Interview mit dem Monitor Versorgungsforschung.
Zur Homepage der Professur für Gesundheitsökonomie
Link zur Studie im BMC Medicine
Link zur Studie im European Journal of Health Economics
Kontakt:
Prof. Dr. Leonie Sundmacher
Professur für Gesundheitsökonomie
Georg-Brauchle Ring 60/62
80992 München
Telefon: 089 289 24464
E-Mail: leonie.sundmacher(at)tum.de
Marie Coors
Professur für Gesundheitsökonomie
Georg-Brauchle Ring 60/62
80992 München
E-Mail: marie.coors(at)tum.de
Text: Jasmin Schol / Marie Coors
Fotos: Privat