Zum 1. Februar 2025 folgte Prof. Dr. Sandra Cortesi dem Ruf der TU München und leitet seitdem die neue Professur für Participation and Diversity in Digital Societies. Ihre akademische Laufbahn begann an der Universität Basel, mit einem Bachelor in Psychology sowie einem Master in General Psychology and Methodology. 2021 promovierte sie dort in Psychologie. In ihrer letzten Station arbeitet sie als leitende wissenschaftliche und lehrende Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IKMZ) der Universität Zürich. Zuvor war sie über viele Jahre hinweg als Fellow sowie Direktorin des Youth and Media Projekts am Berkman Klein Center for Internet & Society an der Harvard Universität tätig. Seit 2024 ist sie dem Center weiterhin als Faculty Associate verbunden.
Seit vielen Jahren berät die promovierte Psychologin Regierungen weltweit und ist in verschiedenen renommierten internationalen Organisationen und Gremien aktiv, darunter das Global Network of Internet & Society Research Centers, UNICEF, UNESCO, die Internationale Fernmeldeunion (ITU) der UN, der Europarat sowie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Liebe Frau Prof. Cortesi, was war ausschlaggebend für Ihre Entscheidung, nach 15 Jahren in Harvard – mit einem Zwischenstopp an der Universität Zürich – an die TUM zu wechseln?
„Was mich an der TUM begeistert, ist der klare Gestaltungswille! Mich hat fasziniert, wie konsequent hier Forschung, Innovation und gesellschaftliche Verantwortung zusammengedacht werden. Nach Harvard und der Universität Zürich, die beide stark geistes- und sozialwissenschaftlich geprägt sind, war es für mich besonders reizvoll, nun an einer führenden technischen Universität mitzuwirken. Die interdisziplinäre Ausrichtung der TUM eröffnet neue Möglichkeiten – gerade auch für die Erforschung des Zusammenspiels von Technologie und Gesellschaft. Hier kann ich nicht nur mitgestalten, sondern gemeinsam mit anderen wirklich Neues aufbauen.“
Was macht diese Arbeit an einer technischen Universität für Sie aus?
„Ich bin Psychologin, und im Zentrum meiner Arbeit steht der Mensch – und die Frage, wie wir gesunde Gesellschaften gestalten können. Zugleich leben wir in einer Zeit, in der technologische Entwicklungen – von sozialen Medien bis hin zu generativer KI – unsere Leben tiefgreifend verändern. An einer technischen Universität wie der TUM finde ich genau das Umfeld, das es dafür braucht: wissenschaftliche Exzellenz im Technologiebereich, gepaart mit der Offenheit für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Hier kann ich technische Entwicklungen nicht nur besser verstehen, sondern auch Brücken bauen – etwa zwischen Sozialwissenschaften, Ingenieurwissenschaften und Medizin. Diese Nähe zur Technik und die Bereitschaft zur Kooperation eröffnen neue Möglichkeiten, gesellschaftliche Herausforderungen gemeinsam zu gestalten.“
Was bedeutet Ihnen der Ruf an die TUM – auch in Ihrer Rolle als Leiterin der neu geschaffenen Professur?
„Zunächst einmal ist es eine große Ehre und eine große Freude. Was mich aber besonders bewegt hat, war nicht der Ruf allein. In allen Gesprächen mit dem Leadership-Team der TUM hatte ich das Gefühl: Hier wird nicht nur Exzellenz gelebt, sondern auch gezielt ermöglicht. Mir wurde signalisiert, dass meine Arbeit mit und für junge Menschen – etwa zu Fragen von Partizipation, Wohlbefinden, digitalen Kompetenzen und dem Umgang mit neuen Technologien, Kreativität – an der TUM nicht nur willkommen ist, sondern aktiv unterstützt wird. Die Offenheit für anwendungsorientierte, interdisziplinäre und partizipative Forschung war für mich entscheidend. Ich habe das Gefühl, hier gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden wirklich etwas bewegen zu können.“
Sie arbeiten nun seit einem halben Jahr am Department. Wie haben Sie die ersten Monate erlebt?
„Der Einstieg an der TUM war eine sehr schöne Mischung aus sehr viel Neuem und Ankommen. Ich wurde herzlich aufgenommen und habe mich von Beginn an gut begleitet gefühlt. In den ersten Monaten lag mein Fokus besonders auf der Lehre – ein Bereich, der mir sehr am Herzen liegt und in dem ich mich mit großer Freude engagiere. Parallel durfte ich in ein spannendes Brückenprojekt der School of Social Sciences and Technology mitleiten: Frontiers in Digital Child Safety. Das Projekt beschäftigt sich mit der Frage, wie wir das Wohlbefinden und die Sicherheit junger Menschen im digitalen Raum zukunftsorientiert gestalten können – eine Herausforderung, die viele Disziplinen erfordert. Der Bericht, an dem ich mitgearbeitet habe, wurde im Juni fertiggestellt.“
Sie sagten, Sie lehren gerne. Inwiefern sind Sie in die Lehre eingebunden? Welche Kurse unterrichten Sie?
„Meine Kurse stehen Studierenden aller Schools offen. Aktuell biete ich Module für Masterstudierende und Promovierende an.
Das Modul Children, Well-Being and Digital Technologies beleuchtet Jugend im digitalen Zeitalter – von globaler Konnektivität über neue Lernformen bis hin zu Fragen von Wohlbefinden, Arbeit und Freundschaft – und wie digitale Innovationen, insbesondere KI, ihr Leben prägen. Wir verbinden Theorie und Praxis und entwickeln in Workshops gemeinsam mit den Studierenden Ideen für eigene Forschungsprojekte.
Im Modul Lost in Translation? Transforming Research Into Policy and Practice beschäftigen wir uns mit der Frage, wie Forschung gesellschaftliche Wirkung entfalten kann. Studierende lernen, wie man wissenschaftliche Erkenntnisse so sammelt, kommuniziert, aufbereitet und mit relevanten Akteuren diskutiert, dass sie politische Entscheidungen und praktische Umsetzungen beeinflussen können."
Decken sich diese Themen auch mit Ihren Forschungsschwerpunkten?
„Ja, absolut. Meine Forschung beleuchtet drei miteinander verbundene Perspektiven: spezifische Communities, diverse Technologien und thematische Schwerpunkte.
Erstens untersuche ich die Lebensrealitäten bestimmter Gruppen – häufig Jugendliche, aber auch andere Communities, die in der Forschung und gesellschaftlichen Debatten oft unterrepräsentiert sind, etwa Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund oder indigene Gruppen. Zweitens beschäftige ich mich mit digitalen Technologien – vor allem mit sozialen Medien und generativer KI. Je nach Fragestellung beziehe ich auch neue, aufkommende Technologien ein, um ihre Bedeutung für verschiedene Zielgruppen besser zu verstehen. Drittens forsche ich zu übergreifenden Themenfeldern, wobei der Fokus auf dem Wohlbefinden liegt: Wie kann Technologie das individuelle und kollektive Wohlbefinden stärken? Dabei spielen auch verwandte Bereiche eine wichtige Rolle – etwa zwischenmenschliche Beziehungen, digitale Kompetenzen, Kreativität oder die Zukunft der Arbeit.
Methodisch arbeite ich partizipativ: Junge Menschen werden in alle Phasen eingebunden – von der Entwicklung der Forschungsfragen bis zur Analyse. Ziel ist es, gemeinsam Wissen zu schaffen, das Wirkung entfalten kann – in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Entsprechend breit ist auch mein Partnernetzwerk: von zivilgesellschaftlichen Organisationen über Start-ups bis hin zu Big Tech und politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger.“
Worauf freuen Sie sich in der nächsten Zeit am meisten in Ihrer Tätigkeit am Department?
„Ich freue mich sehr, dass sich mein Team nun formiert – mit einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin und drei Promovierenden legen wir derzeit die Grundlage für zwei neue Initiativen: ein Youth and Media Lab sowie ein Creativity Lab in Zusammenarbeit mit dem TUM Think Tank. In der Startphase geht es vor allem darum, thematische Schwerpunkte zu definieren und mögliche Partnerschaften innerhalb der TUM und darüber hinaus auszuloten. Eine erste Kooperation des Creativity Labs ist bereits mit dem Lenbachhaus entstanden – im Rahmen gemeinsamer Workshops zum Thema Happy Places. Parallel dazu begleiten wir eine neue national repräsentative Studie zur Nutzung von KI in der Schweiz. Besonders spannend finde ich die Frage, wie sich das Verhältnis zwischen Mensch und Technologie verändert – und wie wir diesen Wandel wissenschaftlich erforschen und gesellschaftlich mitgestalten können.“
Eine Frage zum Abschluss: Wie finden Sie Ausgleich zur Arbeit? Treiben Sie selbst Sport – wenn ja, welchen?
„Meine Sportart ist eher Mind Sports (lacht). Ich war lange leidenschaftliche Schwimmerin, vielleicht wage ich mich demnächst mal wieder ins Hallenbad. Ansonsten bin ich eher kreativ unterwegs – ich interessiere mich für Kunst, male, bastle, habe viele Pflanzen... Aber wenn ich ehrlich bin: Für meinen langfristigen Fitnessplan fehlt mir noch die zündende Idee. Deshalb freue ich mich auf Inspiration – und vielleicht auch auf den einen oder anderen dezenten Schubs – aus Health and Sport Sciences."
Kontakt:
Prof. Dr. Sandra Cortesi
Rudolf Mössbauer Assistant Professor for Participation and Diversity in Digital Societies
TUM Campus im Olympiapark
Am Olympiacampus 11
80809 München, Germany
E-Mail:sandra.cortesi(at)tum.de
Text: Jasmin Schol
Foto: privat