Weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) ist ein international geächteter Eingriff ohne medizinischen Nutzen, der nicht nur erhebliche gesundheitliche Risiken birgt, sondern auch eine gravierende Verletzung der Menschenrechte darstellt. Trotz globaler Bemühungen – z. B. durch UN-Programme – ist FGM in vielen Ländern noch verbreitet. Im Senegal ist etwa jede fünfte Frau betroffen. Für die Entwicklung und Umsetzung gezielter Programme ist insbesondere das Alter der weiblichen Person zum Zeitpunkt des Eingriffs relevant. Zur Bewertung des Fortschritts bei der Bekämpfung von FGM werden regelmäßig Befragungen durchgeführt. Dabei machen Frauen Angaben zu ihrer eigenen Betroffenheit sowie – für Töchter unter 15 Jahren – zu deren möglicher Betroffenheit.
Vor diesem Hintergrund ist die Qualität der Angaben zum Alter bei FGM von entscheidender Bedeutung. Sie beeinflusst maßgeblich die Auswertung und Interpretation der erhobenen Daten. Unter der Leitung von Prof. Dr. Stefanie J. Klug, Ordinaria für Epidemiologie, hat Kathrin Weny, Doktorandin am Lehrstuhl für Epidemiologie, die Verlässlichkeit und Konsistenz altersbezogener Angaben zu FGM in Bevölkerungsumfragen im Senegal untersucht. Die Studienergebnisse wurden unter dem Titel „Self-report and proxy reports in survey data on female genital mutilation, Senegal“ in der renommierten internationalen Fachzeitschrift „Bulletin of the World Health Organization“ publiziert. Diese hat einen Impact-Faktor von 11.
Prof. Klug verdeutlicht die Relevanz des Themas: „Es handelt sich hierbei um ein sehr komplexes und sensibles Thema. Aber leider sind die wenigen verfügbaren Daten nicht perfekt. Ziel dieser Arbeit war es daher, zu untersuchen, wie sich diese Datenprobleme auf die Schätzungen von FGM auswirken – und welche Folgen das für die Interpretation und Nutzung der Daten hat. Denn sowohl die Politik als auch die Wissenschaft greift auf diese Daten zurück, um fundierte Entscheidungen zu treffen und möglichst wirksame Maßnahmen zu entwickeln.“
Von Kathrin Weny, die früher beim Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen selbst Prognosen zu FGM erstellt hat, wurde besonders die Bedeutung des Alters, in dem FGM passiert, für die Berechnung der Inzidenz und die Gestaltung von Präventionsprogrammen hervorgehoben. Der Kontext variiere je nach Land, was unterschiedliche Ansätze in den Programmen gegen FGM erfordere. „Das Alter spielt in zweierlei Hinsicht eine zentrale Rolle: erstens, um die Inzidenz von FGM zu berechnen – also wann Mädchen und Frauen betroffen sind und zweitens, weil der Zeitpunkt der Durchführung Rückschlüsse auf die zugrundeliegenden Entscheidungsmechanismen erlaubt. Wenn FGM direkt nach der Geburt erfolgt, richten sich Maßnahmen eher an Eltern, Institutionen oder medizinisches Personal. Bei älteren Mädchen können diese auch selbst einbezogen werden.“
Analysiert wurden Daten aus dem Demographic and Health Survey (DHS) in Senegal von 2005 bis 2023 zur weiblichen Genitalverstümmelung bei Frauen und ihren Töchtern. Aufgrund des besonderen Datenerhebungssystems in Senegal, mit jährlichen Studien zwischen 2011 und 2019, konnten zehn DHS kombiniert und gewichtet werden. Dabei wurden die Vollständigkeit der Altersangaben bei Genitalverstümmelung, Einflussfaktoren wie Bildung und Genauigkeit des Geburtsdatums, Altersanhäufungen als Hinweis auf Datenqualität sowie das Median-Alter bei Genitalverstümmelung nach Geburtskohorten untersucht. Die Analyse berücksichtigte das komplexe Stichprobendesign verschiedener Befragungen.
Insgesamt zeigt die Studie, dass selbstberichtete Daten von Frauen zur weiblichen Genitalverstümmelung oft ungenau sind – besonders wenn der Eingriff im frühen Kindesalter stattfand. Das kann die Einschätzung von Alterstrends verfälschen. Für aussagekräftigere Analysen empfehlen die Forschenden, vorrangig die Angaben von Müttern über ihre Töchter zu nutzen – vor allem in Ländern wie Senegal, wo beide Datenquellen verfügbar sind. Man sollte laut Weny außerdem vorsichtig sein, wenn man Daten von Frauen und von Müttern über ihre Töchter miteinander vergleicht und sollte diese nicht zusammenfassen.
„Die Analyse demonstriert gut, dass wir zwar mit den besten verfügbaren Daten zu FGM arbeiten, man aber dennoch kritisch damit umgehen muss. Nicht, weil der Erhebungsprozess grundsätzlich schlecht wäre – im Gegenteil, die Erhebungen sind sehr solide –, sondern weil es natürliche Grenzen dessen gibt, was man wissen kann. Das ist ein wichtiges Ergebnis“, resümiert Weny. Für die Zukunft müsse daher also auch das Bewusstsein für den Kontext bei den Forschenden geschärft werden.
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Kontakt:
Univ.-Prof. Dr. Stefanie J. Klug, MPH
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Tel.: 089 289 24951
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Kathrin Weny
Lehrstuhl für Epidemiologie
Am Olympiacampus 11
D-80809 München
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Text: Jasmin Schol
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