Gebärmutterhalskrebs ist nach Statistiken der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die vierthäufigste Krebsart bei Frauen. Im Jahr 2018 wurde bei schätzungsweise 570.000 Frauen weltweit ein Zervixkarzinom diagnostiziert, etwa 311.000 Frauen starben an dieser Krankheit. Andererseits ist Gebärmutterhalskrebs eine Krebserkrankung, die mit geeigneten präventiven Maßnahmen einfach zu verhindern ist. Gebärmutterhalskrebs wird von Humanen Papillomviren (HPV) verursacht. Eine Impfung gegen HPV ist seit 2016 erhältlich, zudem besteht für Deutschland eine Impfempfehlung für alle Mädchen und Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren. Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs können im Rahmen eines Screenings früh erkannt und, falls notwendig, wirksam therapiert werden. Zudem ist Gebärmutterhalskrebs die am häufigsten entdeckte Krebserkrankung bei Frauen, die mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) leben, da deren Immunsystem durch die HIV-Infektion geschwächt ist.
Der Lehrstuhl für Epidemiologie von Prof. Dr. Stefanie Klug hat sich in Zusammenarbeit mit dem Center for Global Health unter der Co-Leitung von Prof. Dr. Dr. Andrea S. Winkler in der Publikation „Estimates of the Global Burden of Cervical Cancer Associated with HIV“ nun diesem relevanten Thema gewidmet. Weitere Kooperationspartner waren unter anderem die WHO mit den Abteilungen für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Forschung und für globale HIV-, Hepatitis- und STI (Sexually Transmitted Infection)-Programme sowie die International Agency for Research on Cancer (IARC). Der Aufsatz wurde im renommierten Journal „The Lancet Global Health“ veröffentlicht, das einen Impact Faktor von 21,597 hat.
„Auf Basis unserer guten Kontakte zur IARC und zur WHO sowie dem Gemeinsamen Programm der Vereinten Nationen für HIV/AIDS (UNAIDS) passt diese Arbeit natürlich sehr gut zu unserem Forschungsschwerpunkt“, so Prof. Klug. „Insofern freuen wir uns natürlich sehr über diese wunderbare Kooperation zwischen den beteiligten Institutionen.“
Die Erstautoren Dr. Dominik Stelzle, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Global Health sowie am Lehrstuhl für Epidemiologie, und Dr. Luana Tanaka, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Epidemiologie, haben dafür einen systematischen Review sowie eine Meta-Analyse von insgesamt 24 Studien aus den Jahren 1981 bis 2016 durchgeführt, an denen 236.127 Frauen mit HIV aus vier Kontinenten (Afrika, Nordamerika, Asien und Europa) teilgenommen hatten. Insgesamt waren 2.138 Zervixkarzinom-Fälle inkludiert. Zudem wurden diese Ergebnisse mit Daten von UNAIDS zur weltweiten HIV-Infektion und zum Zervixkarzinom mit Daten der IARC, dem Krebsforschungszentrum der WHO, verbunden und ausgewertet.
„Bislang gab es immer nur Schätzungen aus Ländern mit einem hohen Netto-Einkommen“, schildert Dr. Stelzle die Voraussetzungen. „Das war auch der Grund, warum wir uns nun die Zahlen der globalen Belastung des Zervixkarzinoms in Verbindung mit einer HIV-Infektion angesehen haben. In den meisten Teilen der Welt liegen diese Zahlen bei unter fünf Prozent. In einigen Ländern sprechen wir aber von weit über 40 Prozent der Fälle, bei denen die Infektion mit HIV ein Co-Faktor ist.“
„Tatsächlich haben viele Länder mit niedrigen durchschnittlichen Netto-Einkommen einen hohen Anteil an Gebärmutterhalskrebs in Verbindung mit einer HIV-Infektion aufzuweisen“, ergänzt Dr. Tanaka.
Ziel der Studie war es, den Anteil der mit HIV lebenden Frauen unter den Frauen mit Gebärmutterhalskrebs zu berechnen. Die Autoren fanden heraus, dass weltweit 5,8 Prozent aller neuen Gebärmutterhalskrebs-Fälle im Jahr 2018 bei Frauen mit einer HIV-Infektion diagnostiziert wurden. Dies entspricht 33.000 Fällen pro Jahr, wovon 85 Prozent in Subsahara-Afrika auftreten.
Weiterhin konnte auf Basis der Ergebnisse gezeigt werden, dass Frauen mit einer HIV-Infektion ein sechsfach höheres Risiko besitzen, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken, als Frauen ohne HIV-Infektion.
„Die Assoziation zwischen Zervixkarzinom und HIV ist einleuchtend“, erläutert Prof. Winkler. „Zervixkarzinome werden meist durch Infektionen mit Humanen Papillomviren verursacht, welche ebenso wie HIV sexuell übertragen werden. Aufgrund unserer Ergebnisse könnte man annehmen, dass eine Infektion mit HIV einen Risikofaktor für eine Infektion mit HPV darstellt.“
Am stärksten betroffen sind die Regionen Süd- und Ostafrika, in denen 63,8 Prozent (Südafrika) bzw. 27,4 Prozent (Ostafrika) der Zervixkarzinome bei Frauen mit einer HIV-Infektion diagnostiziert wurden. „Mit über 75 Prozent ist Eswatini im südlichen Afrika das Land mit dem höchsten Anteil an Frauen, die an Gebärmutterhalskrebs in Verbindung mit HIV leiden, gefolgt von Lesotho mit 69 Prozent, Botswana mit 67 Prozent, Südafrika mit 64 Prozent sowie Simbabwe mit 52 Prozent“, so Dr. Tanaka.
Anhand der Ergebnisse des Reviews sowie der Meta-Analyse stellten die Autoren fest, dass Frauen mit einer HIV-Infektion ein signifikant höheres Risiko besitzen, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken. Insbesondere für die afrikanischen Länder südlich der Sahara seien daher HPV-Impfungen sowie frühzeitige Zervixkarzinom-Screenings von hoher Bedeutung. „Wir empfehlen zusätzlich, dass Frauen, die positiv auf HIV getestet wurden, ab sofort auch auf Gebärmutterhalskrebs untersucht werden sollten“, erklärt Dr. Stelzle.
Die WHO hat sich anhand einer globalen Strategie bis zum Jahr 2030 folgende Ziele gesetzt:
- 90 Prozent der Mädchen weltweit bis 15 Jahre sollen gegen HPV geimpft werden.
- Bei 70 Prozent der Frauen und Mädchen soll bis zum Alter von 35 Jahren und ein zweites Mal im Alter bis 45 Jahre ein Zervixkarzinom-Screening durchgeführt werden.
- 90 Prozent der Frauen und Mädchen, bei denen eine Erkrankung mit Gebärmutterhalskrebs sowie dessen Vorstufen festgestellt wurden, sollen behandelt werden.
„Wir haben natürlich die Hoffnung, dass sich durch die globale Strategie der WHO auch vor Ort in den betroffenen Ländern etwas verändert“, so Prof. Klug. „In Afrika gibt es zwar durchaus bereits Zervixkarzinom-Screenings, aber bislang hauptsächlich für Frauen, die einen höheren sozialökonomischen Status haben und es sich daher finanziell leisten können. Ziel muss es sein, diese Abhängigkeit von ökonomischen Möglichkeiten aufzubrechen und zu erreichen, dass die HPV-Impfung für Mädchen und das Screening für Frauen kostenfrei werden.“
Auf Basis der globalen Strategie hat die WHO am 17. November 2020 mit einer breit angelegten Kampagne das Gesundheitsvorhaben gestartet, das Zervixkarzinom als erste Krebsart überhaupt weltweit zu eliminieren. Um auf das Anliegen aufmerksam zu machen, wurden Gebäude auf der ganzen Welt in der Farbe „Teal“ (Petrol) beleuchtet, unter anderem auch die Fassade des Hörsaalgebäudes am Klinikum rechts der Isar der TUM.
Zur Publikation im Journal „The Lancet Global Health“
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Kontakt:
Prof. Dr. Stefanie Klug
Lehrstuhl für Epidemiologie
Georg-Brauchle-Ring 56
80992 München
Telefon: 089 289 24950
E-Mail: sekretariat.klug(at)tum.de
Prof. Dr. Dr. Andrea Winkler
Center for Global Health
Abteilung für Neurologie
Klinikum rechts der Isar
Ismaninger Straße 22
81675 München
E-Mail: andrea.winkler(at)tum.de
Dr. Dominik Stelzle
Lehrstuhl für Epidemiologie/Center for Global Health
Georg-Brauchle-Ring 56
80992 München
E-Mail: dominik.stelzle(at)tum.de
Dr. Luana Tanka
Lehrstuhl für Epidemiologie
Georg-Brauchle-Ring 56
80992 München
Telefon: 089 289 24960
E-Mail: luana.tanaka(at)tum.de
Text: Romy Schwaiger
Fotos: Andreas Heddergott (TUM)/Lehrstuhl für Epidemiologie/Center for Global Health