Über Depression und Burnout zu sprechen, ist heutzutage immer noch ein Tabu-Thema – auch im Leistungs- und Spitzensport. Laut einer Studie der Stiftung Deutsche Sporthilfe aus dem Jahr 2013, bei der 1.154 Sportler_innen befragt wurden, leidet ein Drittel der deutschen Spitzensportler an psychischen Erkrankungen. 9,3 Prozent gaben Depressionen an, 9,6 Prozent Essstörungen und 11,6 Prozent ein Burnout-Syndrom.
Der Lehrstuhl für Sportpsychologie von Ordinarius Prof. Dr. Jürgen Beckmann sowie die wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Insa Nixdorf und Dr. Raphael Nixdorf beschäftigt sich bereits seit 2009 mit diesem Forschungsgebiet. „Die psychische Gesundheit von Leistungssportlern ist ein wichtiges Thema und eine lange vernachlässigte Problematik“, erklärt Prof. Beckmann. Bereits 2013 hat der Lehrstuhl die vielfach zitierte Studie „Prevalence of depressive symptoms and correlating variables among German elite athletes“ im „Journal of Clinical Sport Psychology“ veröffentlicht. Im Laufe der Jahre folgte eine Vielzahl von weiteren Veröffentlichungen zu diesem Thema in verschiedenen Fachzeitschriften. Im April 2020 ist nun in „frontiers in Psychology“ eine neue Publikation mit dem Titel „Psychological Predictors for Depression and Burnout Among German Junior Elite Athletes“ („Psychologische Prädiktoren für Depression und Burnout bei deutschen Nachwuchsleistungsportlern“) erschienen. Das Journal hat einen Impact Factor von 2,129.
„Die Themen Depression und Burnout sind nach wie vor stigmatisiert, so etwas passt nicht zum idealisierten Rollenbild von Sportlern“, so Dr. Raphael Nixdorf. „In unseren Studien war das allerdings bisher nicht der Fall. Wir haben im Rahmen dessen immer wieder Kontakt zu Sportlern, die sogar sehr interessiert und oft auch dankbar sind, dass sie über ihre Probleme sprechen können. Denn psychische Erkrankungen sind im Leistungs- und Spitzensport mindestens genauso weit verbreitet wie in der normalen Bevölkerung.“
„Gerade im Nachwuchsleistungssport ist die Unsicherheit über die sportliche Zukunft deutlich höher“, ordnet Prof. Beckmann die Problematik ein. „In vielen Sportarten gibt es am Ende eines Jahres oder einer Saison Übernahmegespräche, wie z. B. im Nachwuchsfußball. Somit schwebt ständig ein Damoklesschwert über den jungen Athlet_innen. Diese Situation können viele von ihnen nicht so einfach bewältigen.“
An der jetzt veröffentlichten Studie nahmen 194 Nachwuchsathlet_innen aus den Sportarten Badminton, Turnen, Hockey, Eislaufen, Mountainbike-Sport, Leichtathletik, Fußball und Schwimmen teil. Davon absolvierten 85 Probanden alle drei Testphasen, die aus der Vorbereitungs-, der Wettkampf- und der Regenerationsphase bestanden. An drei vorgegebenen Messzeitpunkten während der Phasen füllten die Sportler_innen Online-Fragebögen aus, die anhand verschiedener Maßnahmen bewertet wurden. Dabei wurden die Bereiche Depression, Burnout, chronischer Stress, Regeneration, Zusammenhalt, Perfektionismus, Zuschreibung nach Misserfolg, dysfunktionale Einstellungen sowie Stressverarbeitungsstrategien untersucht.
„Der Ansatz unseres Projekts war es, herauszufinden, welche psychischen Variablen an der Entstehung von Depression und Burnout beteiligt sind“, schildert Dr. Raphael Nixdorf die Forschungsfrage. „Wir haben uns dann am Diathese-Stress-Modell orientiert, einer globalen theoretischen Annahme, die häufig in der Psychologie verwendet wird.“ Dabei wird die Entstehung einer Erkrankung auf die Wechselwirkung zwischen Diathese, also der Disposition für eine Erkrankung, und Stress in Form von belastenden Umweltfaktoren zurückgeführt. „Wir haben das Modell nun an den Leistungssport angepasst, um zu sehen, welche Kombination von Diathesen und Stressoren am Ende Burnout oder Depression hervorrufen können.“
Das Forschungsteam konnte herausfinden, dass sich als Diathese für Depression die psychologischen Faktoren dysfunktionale Einstellungen, Resignation als Bewältigungsstrategie und fehlende Regeneration als signifikant erwiesen haben. Als Diathese für Burnout waren die Faktoren dysfunktionale Einstellungen, Resignation als Stressverarbeitungsstrategie und chronischer Stress signifikant.
Auf der Anwendungshomepage www.nachwuxathleten.de, die vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft unterstützt wird, können sich Athlet_innen über psychische Gesundheit aufklären lassen. Zudem haben sie die Möglichkeit, einen psychologischen Selbsttest durchzuführen, in dem die Ergebnisse der Studie bereits angewendet werden. Dr. Nixdorf betont abschließend, dass „diese Anwendungshomepage und der Selbsttest einen wichtigen Beitrag zur Prävention von psychischen Erkrankungen bei Nachwuchssportler_innen darstellen.“
Zur Veröffentlichung im Journal „frontiers in Psychology“
Zur Anwendungshomepage www.nachwuxathleten.de
Zur Homepage des Lehrstuhls für Sportpsychologie
Kontakt:
Prof. Dr. Jürgen Beckmann
Lehrstuhl für Sportpsychologie
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Telefon: 089 289 24541
E-Mail: Juergen.Beckmann(at)tum.de
Dr. Raphael Nixdorf
Lehrstuhl für Sportpsychologie
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Telefon: 089 289 24788
E-Mail: Raphael.Nixdorf(at)tum.de
Dr. Insa Nixdorf
Lehrstuhl für Sportpsychologie
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Telefon: 089 289 24788
E-Mail: Insa.Nixdorf(at)tum.de
Text: Romy Schwaiger
Fotos: www.nachwuxathleten.de