33 Jahre nach der olympischen Goldmedaille von Steffi Graf hat Alexander Zverev bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio erstmals im Tennis-Einzel der Männer Gold gewonnen. Entscheidend war dabei vor allem sein Sieg im Halbfinale gegen die serbische Nummer eins der Weltrangliste, Novak Djokovic. Dabei sah alles schon nach einer Zwei-Satz-Niederlage aus, als Zverev im zweiten Satz mit 2:3 hinten lag. Nach einem Break (Spielverlust trotz Aufschlagsspiels) donnerte Zverev zuerst seinen Schläger auf den Boden, anschließend schoss er einen Tennisball mit voller Wucht aus dem Stadion.
„Choking under pressure“ nennt man das Phänomen, wenn ein_e Sportler_in in dem Moment versagt, in dem es darauf ankommt, sein bzw. ihr volles Leistungsniveau abzurufen, in einer bedeutsamen Situation eines Wettkampfes. Bereits seit rund zehn Jahren analysiert die Arbeitsgruppe Sportpsychologie von Prof. Dr. Jürgen Beckmann dieses Phänomen und sucht dabei auch nach Lösungen.
„Wir haben bereits mehrfach die Wirkung eines dynamischen Handgriffs bei Rechtshänder_innen mit der linken Hand in verschiedenen Sportarten wie Turnen, Taekwondo, Badminton, Golf oder Beachvolleyball zeigen können“, so Prof. Beckmann. „Unsere Idee war nun, diesen Handgriff auch im Tennis anzuwenden. Die Proband_innen haben dafür den Tennisball direkt vor dem Aufschlag dynamisch mit der linken Hand gedrückt.“
Die Ergebnisse dieser Studie wurden nun unter dem Titel „Preventing a loss of accuracy of the tennis serve under pressure“ im Journal „PLOS ONE“ veröffentlicht. Die Zeitschrift hat einen Impact Faktor von 3,240.
Im Jahr 2013 wurde erstmalig der Effekt dieses dynamischen Handgriffs beim Badminton veröffentlicht. „Im Jahr 2017 haben wir dann die Genauigkeit des Aufschlags im Beachvolleyball angeschaut“, erklärt Dr. Vanessa Wergin, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Sportpsychologie und Co-Autorin der Publikation. „In der aktuellen Studie haben wir nun die Genauigkeit des Tennisaufschlags analysiert, der möglichst nahe an einem vorgegebenen Ziel platziert werden sollte.“
Als Untersuchungsteilnehmer konnten 20 männliche Kaderathleten aus Baden-Württemberg im Alter zwischen 17 und 18 Jahren gewonnen werden, die mindestens in der vierthöchsten Liga in Deutschland spielen und zwischen vier- und sechsmal pro Woche trainieren.
„Der Vorteil beim Tennis ist natürlich, dass die Spieler_innen sowieso schon einen Ball in der Hand haben“, so Dr. Wergin. „Die Festigkeit des Tennisballs eignet sich auch hervorragend für den dynamischen Handgriff. Je höher der Widerstand ist, desto stärker ist letztendlich auch der Effekt.“
Im Rahmen der Studie wurden die Teilnehmer in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe praktizierte direkt vor dem Aufschlag den dynamischen Handgriff zehn bis 15 Sekunden lang mit der linken Hand mit dem Tennisball, während die zweite Gruppe den Schlägergriff mit der rechten Hand über zehn bis 15 Sekunden aktiv drückte.
Anschließend führten beide Gruppen jeweils acht Aufschläge mit einem vorgegebenen Ziel im Pre-Test ohne Druck durch, danach folgten weitere acht Aufschläge im Post-Test unter Druck.
Der Abstand der gültigen Aufschläge vom Ziel der Gruppe mit der rechten Hand vergrößerte sich von der Voruntersuchung bis zur Nachuntersuchung signifikant, was auf einen Leistungsabfall hindeutet, während die Genauigkeit der gültigen Aufschläge der Gruppe mit der linken Hand stabil blieb.
„Die ursprüngliche Annahme war, dass die rechte Gehirnhälfte eine ganzheitliche Ausführung einer hochautomatisierten Bewegung begünstigt, während die linke Gehirnhälfte durch sprachliche Repräsentation eher zu einer Zerlegung der Bewegungsausführung führt, die dann den Bewegungsfluss beeinträchtigt und zu größerer Ungenauigkeit führt“, erläutert Prof. Beckmann. Somit sollte durch das Drücken der linken Hand bei Rechtshändern eine stärkere Aktivierung der rechten Gehirnhälfte erreicht werden.
„Weitere EEG-Untersuchungen unserer Arbeitsgruppe haben aber gezeigt, dass eher ein Entspannungseffekt, sozusagen ein Reset-Mechanismus, durch das linkshändige dynamische Handdrücken eintritt“, so Dr. Wergin. „Das heißt, dass das Gehirn in den Alpha-Rhythmus übergeht und sich somit eine Entspannung einstellt. Es deutet vieles darauf hin, dass dieser Effekt bei Rechtshändern dadurch zustande kommt, weil in deren rechten Gehirnhälfte mehr weiße Hirnsubstanz und somit auch eine höhere Konnektivität vorhanden ist.“
Diese bewirkt, dass sich der Entspannungseffekt über den ganzen Kortex ausbreitet Dadurch wird die bewusste Steuerung der Ausführung des Aufschlags über die linke Gehirnhälfte reduziert.
„Die Befunde sind von hoher praktischer Bedeutung, da sie die Anwendbarkeit des dynamischen Handgriffs der linken Hand in tatsächlichen Tenniswettbewerben zeigt“, fasst Prof. Beckmann die Ergebnisse zusammen. „Der Handgriff könnte leicht als Strategie zur Vorbereitung des nächsten Aufschlags in einem regulären Tennisspiel eingesetzt werden. Er könnte Teil einer Aufschlagroutine werden, die die Spieler normalerweise vor dem Aufschlag ausführen.“
Ob Alexander Zverev den dynamischen Handgriff bereits anwendet, ist nicht bekannt. Nach seinen emotionalen Ausbrüchen im zweiten Satz schaffte er jedoch schließlich noch die Wende gegen Djokovic. Der gebürtige Hamburger gewann den zweiten Satz noch mit 6:3 und entschied den dritten Satz mit 6:1 für sich, um ins olympische Finale einzuziehen. Dort besiegte er den Russen Karen Chatschanow klar mit 6:3 und 6:1.
Zur Publikation „Preventing a loss of accuracy of the tennis serve under pressure“ im Journal „PLOS ONE“
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Kontakt:
Prof. Dr. Jürgen Beckmann
Arbeitsgruppe Sportpsychologie
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Tel.: 089 289 24540
E-Mail: Juergen.Beckmann(at)tum.de
Dr. Vanessa Wergin
Arbeitsgruppe Sportpsychologie
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Tel.: 089 289 24547
E-Mail: Vanessa.Wergin(at)tum.de
Text: Romy Schwaiger
Fotos: Pixabay/privat