Bluthochdruck ist weltweit einer der wichtigsten Risikofaktoren für kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Laut Robert-Koch-Institut sind jährlich rund 9,4 Mio. Todesfälle weltweit auf Hypertonie zurückzuführen. Zudem hat etwa ein Viertel der Weltbevölkerung einen zu hohen Blutdruck. Die frühzeitige Erkennung und Behandlung dieser Erkrankung ist entscheidend, um Komplikationen zu vermeiden. Bluthochdruck bleibt jedoch häufig unerkannt. Aber selbst wenn die Erkrankung auffällt, erhält nicht jeder Patient eine angemessene Behandlung.
Aus diesem Grund hat die Professur für Public Health und Prävention von Prof. Dr. Michael Laxy im Rahmen einer Studie untersucht, wie sich ein bevölkerungsbezogenes Blutdruck-Screening und eine anschließende niedrigschwellige Informationsbehandlung auf die langfristige Morbidität und Mortalität von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auswirkt. Die Ergebnisse wurden nun unter dem Titel "The effect of population-based blood pressure screening on long-term cardiometabolic morbidity and mortality in Germany: A regression discontinuity analysis“ im Journal „PLOS Medicine“ veröffentlicht. Die Fachzeitschrift hat einen Impact Faktor von 11,069.
Die Studie bezieht sich auf Ergebnisse von vier Wellen der Studie "Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg" (KORA) zwischen 1984 und 1996. Bei der KORA-Studie handelt es sich um eine Forschungsplattform des Helmholtz Zentrums München zur Untersuchung der Zusammenhänge von Gesundheit, Krankheit und den Lebensumständen der Bevölkerung. Die KORA-Kohorte, die aus ca. 18.000 Teilnehmer_innen besteht, stellt eine bevölkerungsbasierte Zufallsstichprobe aller 25- bis 74-Jährigen im Raum Augsburg dar.
Für die Hauptanalyse wurden Daten von insgesamt 14.592 Personen berücksichtigt. Dabei wurde untersucht, ob eine einfache Botschaft in Form eines Briefes an Personen, bei denen im Rahmen der KORA-Studie Bluthochdruck festgestellt wurde, zu einem geringeren Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt und andere Formen von Herzkrankheiten oder zu Änderungen der Lebensweise führte. Anhand dieses Briefes sollten diese Personen dazu motiviert werden, ihre_n Hausarzt_in aufzusuchen, um den Bluthochdruck zu besprechen. Das Vorliegen eines Bluthochdrucks und damit auch die Mitteilung der entsprechenden Information orientierte sich am klassischen Hypertonie-Schwellenwert von 140/90 mmHg.
„Die Idee war, dass die Patient_innen die Ergebnisse per Brief mitgeteilt bekommen und aufgrund dessen zum Arzt gehen, um eine Therapie zu beginnen, wenn bei ihnen im Rahmen der KORA-Studie Bluthochdruck diagnostiziert wurde“, erklärt Dr. Sara Pedron, Erstautorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Public Health und Prävention. „Wir haben uns die Frage gestellt, welche Wirkung diese Form der Kommunikation auf die Patient_innen hatte. Das können wir nun sehen, da wir die Daten zu den Verhaltensweisen, den kardiovaskulären Ereignissen und Todesfällen der Personen, die seit 30 Jahren an der Studie teilnehmen, extrahiert und analysiert haben.“
Anhand einer Regressions-Diskontinuitäts-Analyse wurde evaluiert, ob die Informationen in Form eines Briefes, welchen die Teilnehmer_innen erhalten hatten, im Nachgang zur Untersuchung eine Auswirkung auf die Erkrankungs- und Sterblichkeitsrate über den Zeitraum von fast 17 Jahren hatte. Dafür wurden die Ergebnisse mit denen von Personen mit ähnlichem Blutdruck verglichen, die direkt unterhalb einer Bluthochdruck-Schwelle lagen und daher die Informationen nicht erhalten hatten.
„Das Regressions-Diskontinuität-Design ist ein relativ innovatives Verfahren für Public Health oder Epidemiologie, das eine Art randomisiertes Experiment nachahmt“, erklärt Prof. Laxy. „In dem Design, das zu den quasi-experimentellen Verfahren zählt, wird ausgenutzt, dass die Proband_innen über oder unter der Bluthochdruck-Schwelle fast identisch sind, aber die eine Gruppe im Vergleich zur anderen die Intervention in Form des Briefes erhält. Es ist daher eine sehr effiziente Methode, um den kausalen Effekt von Interventionen von so einem Screening mit Beobachtungsdaten abzuschätzen. Diese Art von Analysen werden in den Gesundheitswissenschaften immer häufiger angewendet. Es ist aber immer noch eine Menge ungenutztes Potential vorhanden.“
Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass die bloße Information der Patient_innen über den Status ihres Bluthochdrucks nicht ausreicht, um langfristig die kardiovaskuläre Gesundheit zu beeinflussen. „Wir konnten keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen feststellen“, so Dr. Pedron. „Das bedeutet aber nicht automatisch, dass es keinen Unterschied gab. Grund hierfür sind große Konfidenzintervalle.“
Zusätzlich wurde versucht, die Kausalkette mit den vorhandenen Daten abzubilden. Dafür wurden bei 5.085 Proband_innen potenzielle Zwischenergebnisse wie der systolische und diastolische Blutdruck, das Bewusstsein für Bluthochdruck, körperliche Aktivität, Rauchen und der Body-Mass-Index anhand der Daten von zwei Folgestudien nach sieben Jahren untersucht. „Jedoch haben wir hier auch keine Unterschiede feststellen können“, erläutert die wissenschaftliche Mitarbeiterin.
Die Untersuchung liefert somit keine Belege für eine Auswirkung des bewerteten Blutdruck-Screenings und der anschließenden Informationsbehandlung auf Blutdruck und Verhalten. Auch auf langfristige Mortalität und Morbidität von Herz-Kreislauf-Erkrankungen hatte die Maßnahme keinen Effekt. „Wir haben diese Studie mit dem Hintergedanken durchgeführt, dass es sich um eine sehr günstige Intervention handelt, die man mit wenig Aufwand und Kosten hochskalieren kann, wenn sie etwas gebracht hätte. Selbst wenn wir nur einen sehr kleinen Effekt gesehen hätten, wäre das sehr interessant gewesen. Auf der anderen Seite wussten wir, dass die Information anhand des Briefes eine niederschwellige Intervention war. Wir haben die Daten trotzdem untersucht, da es unserer Kenntnis nach nur sehr wenige Studien gibt, womit so eine Intervention untersucht werden kann. Dass die Intervention aber nicht so funktioniert hat, wie erhofft, ist aber natürlich auch ein interessantes Ergebnis“, fasst Dr. Pedron die Ergebnisse der Studie zusammen.
Zur Publikation "The effect of population-based blood pressure screening on long-term cardiometabolic morbidity and mortality in Germany: A regression discontinuity analysis” im Journal “PLOS Medicine”
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Kontakt:
Prof. Dr. Michael Laxy
Professur für Public Health und Prävention
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Tel.: 089 289 24977
E-Mail: michael.laxy(at)tum.de
Dr. Sara Pedron
Professur für Public Health und Prävention
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
E-Mail: sara.pedron(at)tum.de
Text: Romy Schwaiger
Fotos: „PLOS Medicine“/privat