"Multiple Sklerose ist die Krankheit der vielen Gesichter. Die Symptome können sehr unterschiedlich sein", sagt Dr. Claudia Kern vom Lehrstuhl für Präventive Pädiatrie. Therapieformen für Multiple Sklerose(MS) Patient_innen sind dementsprechend vielfältig. Einen breiten Ansatz verfolgt die Gruppe "MS on the Rocks". Dort lernen Menschen mit MS betreut durch erfahrene Instruktoren Klettern.
Am Samstag, den 9. Mai, feiert "MS on the Rocks" sein 10-jähriges Bestehen. Im Sommer 2005 entstand das Projekt im Rahmen der Diplomarbeit von Tobias Käser. Der Lehrstuhl für Präventive Pädiatrie beschloss die Sportgruppe weiterzuführen, unter Leitung von Dr. Kern. "Ich zolle Claudia Kern hohen Respekt. Es ist eine enorme Leistung, Leute mit dieser Erkrankung über einen so langen Zeitraum zu motivieren und zu trainieren. Und es ist schön zu sehen, welche positiven Effekte das Training hat ", bilanziert Prof. Dr. Renate Oberhoffer, Ordinaria des Lehrstuhls für Präventive Pädiatrie.
Showtraining und wissenschaftliches Symposium
Das 10-jährige "MS on the Rocks"-Jubiläum wird am Samstagmorgen ab 9 Uhr mit einem Showtraining begonnen. "Wir wollen zeigen, welche Leistungen trotz der Krankheit möglich sind", erklärt Kern. Ab 14:30 Uhr wird ein Symposium mit wissenschaftlichen Vorträgen veranstaltet (Wirtshaus am Bavariapark, Theresienhöhe 15). Unter anderen spricht Prof. Dr. Martin Halle, Prodekan der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften. Bereits 110 Teilnehmer_innen haben sich angemeldet.
Entzündliche Krankheit der Nervenfasern
Rund 2,5 Millionen Menschen sind weltweit nach Angaben der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft an MS erkrankt, davon rund 200 000 in Deutschland. MS ist eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems. Im Körper werden Reize vom Gehirn durch Nervenfasern weitergeleitet. Diese sind - ähnlich wie Kabel - von einer Myelin-Schutzschicht umgeben. "MS zerstört durch Entzündungsprozesse diese Schutzschicht. Das beeinträchtigt die Nerv-Reiz-Weiterleitung", erläutert Kern. Symptome gehen von Einschränkungen im koordinativen Bereich über Gleichgewichtsstörungen bis hin zu Sehstörungen.
"Klettern ist als Ganzkörpersportart sehr geeignet für therapeutische Maßnahmen. Weil viele verschiedene Aspekte adressiert werden können", sagt Kern. So würden beispielsweise Muskelkraft, Kondition und intramuskuläre Koordination verbessert. Durch die kleinen Tritte an der Kletterwand wird der Gleichgewichtssinn trainiert. Auf der psychologischen Ebene lernen Teilnehmer_innen, Grenzen und Ängste zu überwinden und Selbstvertrauen sowie Vertrauen in ihren Körper aufzubauen.
"Dazu kommt die soziale Ebene, also das gemeinsame Erleben, der Austausch miteinander - und zwar nicht nur über die Krankheit, sondern vor allem auch den Sport - und die gegenseitige Unterstützung. Diese Ebene ist für die Teilnehmer tatsächlich sehr wichtig", sagt die promovierte Sportwissenschaftlerin.
57 Teilnehmer_innen, 13 Meter Wandhöhe, bis Schwierigkeitsgrad 7
Für "MS on the Rocks" stehen jeden Samstag verschiedene Routen an der bis zu 13 Meter hohen Wand des TUM Campus im Olympiapark zur Verfügung. Sämtliche der 57 Teilnehmer_innen klettern Toprope, werden also durch ein bereits eingehängtes Seil von oben gesichert. Die Seile bedienen speziell geschulte Sicherer. Die Gruppe der MS on the Rocks Kletternden ist heterogen. "Einige unserer Kletterer haben kaum Einschränkungen, andere sind in ihrem Alltag auf den Rollstuhl angewiesen sind", sagt die Mitarbeiterin des Lehrstuhls für Präventive Pädiatrie. Geklettert werden zumeist Routen im vierten oder fünften Schwierigkeitsgrad, teilweise aber bis zum Siebten.
Motorik und Gleichgewicht verbessert
"Tatsächliche Ergebnisse sind wissenschaftlich schwer nachweisbar, zeigen sich aber in der Praxis", weiß Kern. So habe ein Teilnehmer seine Motorik so verbessert, dass er inzwischen Knöpfe wieder selbst schließen könne. Andere hätten ihr Gleichgewichtsempfinden stabilisiert und berichteten, dass sie nun in der Straßenbahn stabiler stehen. "Wir stellen insgesamt fest, dass die Leute aktiver werden und es eine deutliche Tendenz zu Verbesserungen in den unterschiedlichen Bereichen gibt", bilanziert Kern."
"‘MS on the Rocks’ zeigt unseren Anspruch der translationalen Forschung, indem wir Wissenschaft in konkrete Anwendungsfelder bringen und umgekehrt aus den Praxiserfahrungen neue wissenschaftliche Projekte generieren", erklärt Oberhoffer. So promovierte Kern über den Einsatz von Klettern als therapeutische Maßnahme gegen MS. 2008 erhielt "MS on the Rocks" den mit 4000 Euro dotierten Hertie Preis für Engagement und Selbsthilfe.
MS on the Rocks Informationsseite
Zur Homepage des Lehrstuhls für Präventive Pädiatrie
Kontakt:
Dr. Claudia Kern
Lehrstuhl für Präventive Pädiatrie
Connollystr. 32
80809 München
Telefon: 089 289 24400
E-Mail: Claudia.Kern(at)tum.de